Micky Maus
selten gemein, aber auch nicht gemeinfrei

Die Geschichte der berühmtesten Maus der Welt herunter zu beten hieße, die gesamte Geschichte des Walt Disney Konzerns nachzuzeichnen. Das muss an dieser Stelle nun wirklich nicht sein - und Fans wissen eh um all die Meilensteine der putzigen Trickikone von Steamboat Willie über The Band Concert und The Brave Little Tailor bis zu Mickys epischer Sternstunde in Fantasia. Springen wir daher direkt in die 50er Jahre. Nachdem sich Mr. Mouse bereits ab 1943 im Kino rar machte, ging er 1953 in The Simple Things mit seinem treuen Hund Pluto auf Angelurlaub und kam nicht wieder. Zu sehr war er inzwischen das Aushängeschild seiner Firma geworden, das eine blütenreine weiße Weste ... oh Entschuldigung ... Polo-Shirt zu tragen hat. Die Narreteien und Frechheiten vergangener Tage überließ er daher unlängst seinen Kollegen Donald und Goofy.

Nach einer nicht ganz zweijährigen Auszeit kam Micky als imaginärer Host seines eigenen Mickey Mouse Clubs im neuen Medium Fernsehen zu ebenso neuen Ehren. Zwar waren die Trick-Intros, gelegentliche Einspieler und Überleitungen überschaubar, doch der Kinder liebste Maus war in der ansonsten real abgedrehten Sendung allgegenwärtig. Walt Disney ließ es sich nicht nehmen, seinem Star erneut die Stimme zu leihen, obwohl Jimmy MacDonald diese Aufgabe bereits Jahre zuvor übernommen hatte. Die erste Sendereihe des MMC lief von 1955 bis 1959.


Für diese Aufgabe war Micky selbstredend so beschäftigt, dass er für die parallel anlaufende Disneyland Reihe keine Zeit hatte. Nein, im Ernst: Während der MMC primär auf ein jüngeres Publikum ausgelegt war, für die sich der Mäuserich hervorragend eignete, war Disneyland mehr Unterhaltung für die ganze Familie - und die beglückte Walt Disney als Moderator lieber gleich persönlich. Ich möchte übrigens einmal erwähnen, dass ich es bewundere, dass ein Mann, der als Chef eines riesigen Konzerns bestimmt auch anderes zu tun hatte, trotzdem regelmäßig vor die Kamera trat, um seinem Image als liebenswerter Märchenonkel gerecht zu werden.


The Adventures of Mickey Mouse
Disneyland

12.10.1955 - Staffel 2, Folge 5

 

Die erste TV-Show rund um Micky war dann auch kein sonderlich großes Spektakel. Walt, der in seiner Studio-Bibliothek gerne mal Bücher hervor kramte, die es in Wahrheit gar nicht gab, leitete mit solchen imaginären Schmökern hier ein paar von Mickys klassischen Cartoons ein. Einzig erwähnenswert ist hier das Ende des zuletzt gezeigten Featurettes Mickey and the Beanstalk, wo der Riese Willie nun das Dach der Bibliothek anhob, um mit Walt zu sprechen. Acht Jahre später wurde selbige Szene erneut umarrangiert, diesmal mit Ludwig van Drake als Gesprächspartner.

Die Sendung lief sehr oft in den 50er Jahren im Programm der ARD, unter vielen alternativen Titeln und später auch auf 30 Minuten herunter gekürzt. Bislang ältester Nachweis: (Die) Abenteuer der Micky-Maus, 26.03.1958


On Vacation (with Mickey Mouse and Friends)
Disneyland

07.03.1956 - Staffel 2, Folge 22

 
 

Wirklich neu Gezeichnetes gab es ein Jahr später in dieser Folge zu sehen. Jiminy Cricket erhält von Walt Disney die Erlaubnis, die Regie einer Disneyland-Folge zu übernehmen. Als dieser versucht, Micky, Donald und Goofy dafür zusammen zu trommeln, bemerkt er, dass sie sich alle bereits in den Ferien befinden (was dann in klassischen Cartoons gezeigt wird). Zwar kann die Grille am Ende das Trio ins Studio zurück beordern, ist danach allerdings von den Strapazen so geschafft, dass sie den dreien einfach die Arbeit überlässt und sich nun selbst einen Urlaub gönnt.


The Plausible Impossible
Disneyland

31.10.1956 - Staffel 3, Folge 8

 

Zu den beliebtesten und auch erfolgreichsten Folgen der Disneyland-Reihe gehörten die von Regisseur Dick Huemer inszenierten, tieferen Einblicke in die Trickkunst selbst. Den Anfang machte The Story of the Animated Drawing (1955), wo Walt Disney historische Meilensteine der Animationsgeschichte umriss. Der Nachfolger The Plausible Impossible ist schon allein tricktechnisch die interessanteste dieser Folgen, aber auch inhaltlich ein echter Leckerbissen. Walt erklärt hier explizit, wie wichtig Glaubwürdigkeit in der Trickkunst ist und wie diese in Bewegungen, Mimik, Anatomie und gar in der bzw. durch Musik umgesetzt werden kann, selbst wenn die Charaktere eigentlich Dinge tun, die nur in deren Welt funktionieren können. Als besonderer Bonus wurde den Zuschauern damals zum ersten Mal die nie vollendete, weil geschnittene "Suppen-Szene" aus Schneewittchen gezeigt.

Für ein paar Beispiele dieser plausiblen Unmöglichkeiten wurden einige kleine, aber brandneue Szenen mit Micky abgedreht. Zu Wort kam dieser dabei jedoch nicht.

Dialogreicher und vor allem auch witziger ist der anschließende Besuch Donalds in Walts Büro. Der arme Kerl muss für weitere Erläuterungen seines Chefs mehr als einmal den Kopf hinhalten. Als er schließlich von einem tonnenschweren Geldschrank zerquetscht wird, hat der Enterich den Schnabel voll. Ein Tisch voller Leckereien kann ihm zwar wieder ein Lächeln entlocken, doch wer den hiermit eingeleiteten Cartoon Donalds Cousin Gus kennt, weiß, wie die Geschichte am Ende ausgehen wird. Die gesamte Szenerie erinnert nicht von Ungefähr an Duck Amuck (1953) und Rabbit Rampage (1955) der Warner-Konkurrenz, wo Daffy Duck und Bugs Bunny ähnliche Torturen über sich ergehen lassen müssen.

Folge 3 mit dem Titel Tricks of our Trade (1957) beleuchtet die technische Seite der Trickfilm-Entstehung. So wird hier z.B. einmal genau erklärt, was es mit Disneys genialer Erfindung, der Multiplane-Kamera, auf sich hat. Für ein weiteres Beispiel um Perspektiven und Dimensionen ist hier Micky als fröhlicher Angler erneut in einer kurzen Szene zu sehen.

 

Alle drei Folgen sind auf der in den USA (leider nicht in Deutschland) erschienenden Treasure-DVD Behind the Scenes at the Walt Disney Studios zu sehen, wo sie inhaltlich passend mit dem Film The Reluctant Dragon zusammen gepackt wurden. Inzwischen ein Sammlerstück, sollte sie meiner Meinung nach in keiner guten Disney-Sammlung fehlen.

- The Story of the Animated Drawing lief als Die Geschichte des Zeichentrickfilms erstmals am 7.11.1957 in der ARD.
- Tricks of Our Trade folgte am 29.11.1959 unter dem Titel
Aus der Schule geplaudert. Ausschnitte der Originalshow waren auch im Kinofilm Micky ist der Größte zu sehen.
- Über eine Ausstrahlung von
The Plausible Impossible ist mir nichts bekannt.


Pluto's Day
Disneyland

12.12.1956 - Staffel 3, Folge 12

 
 

Im Dezember 1956 wurde Mickys treuem Hund Pluto eine ganze Folge gewidmet. Ein paar Klassiker mit dem Vierbeiner wurden in eine hübsch gezeichnete Rahmenhandlung gesteckt, in der die beiden einen aufregenden Tag erleben. Dabei ergab das Ganze eine hübsch nachvollziehbare Story. So wurde der letzte Cartoon The Simple Things (Micky angelt am Meer) mit Pluto's Playmate verknüpft, wo Pluto am Strand auf einen kleinen Seehund trifft.

Am 11.5.1960 lief in der ARD die Folge Ein Herz für Hunde. Vermutlich handelt es sich um diese Show, bestätigt ist dies jedoch noch nicht.


Four Tales on a Mouse
Disneyland

16.04.1958 - Staffel 4, Folge 24

 
 

In Mickys letztem klassischen Disneylandauftritt der 50er Jahre zeigt Walt Disney ein Fotoalbum mit netten Erinnerungen rund um den Mäuserich, was in diversen Cartoons endet. Die Rahmenhandlung hatte hier jedoch bereits sehr an Qualität abgenommen. Viele Bewegungsabläufe waren lediglich Stock Footages aus älterem Material - selbst Szenen aus dem Mickey Mouse Club wurden hier bereits wieder recycelt ... und so trat Micky dann in seine zweite große Auszeit.

Die Show lief am 25.9.1960 unter dem Titel Wiedersehen mit Micky-Maus in der ARD.


Mickys Geburtstag (Teil 1)

The Mickey Mouse Anniversary Show Mickey's 50
Walt Disney's Wonderful World of Color
22.12.1968 - Staffel 15, Folge 11
(Link)
The Wonderful World of Disney
19.11.1978 - Staffel 25, Folge 9
(Link)

Natürlich wurden trotz seiner zweiten "Rente" Mickys runde Jubiläen in Disneys regulärer Sendereihe nicht vergessen. Mit großartig neuem Material konnten diese Folgen jedoch nicht mehr aufwarten. Die Shows zum 40sten und 50sten Wiegenfest wurden weltweit zu Kinofilmen umgebastelt und von mir bereits auf den entsprechenden Seiten analysiert (folge den Links oben). Leider war das auch schon alles, was Disney speziell für Micky in den 60er und 70er Jahren ins Fernsehen brachte, mal abgesehen von einem Versuch, den Micky Maus Club 1977 zu reanimieren. Zwei Jahre später wurde das Format bereits wieder eingestampft.

Die Achtziger Jahre

Ein bedeutender Wendepunkt in Mickys Karriere erfolgte 1983 mit dem Kino-Featurette Mickey's Christmas Carol, welches bewusst auch produziert wurde, um den Doppelrentner für eine neue Generation wieder aus der Versenkung zu holen. Im TV passierte jedoch kurioser Weise das genaue Gegenteil. Die, zumindest was animierte Folgen angeht, inzwischen zur langweiligen Clip-Show verkommene Disneyland-Reihe mit inzwischen 29 Staffeln auf dem Buckel, ging nun selbst vorerst in Rente. Die letzte Folge Mickey and Donald Kidding Around (S29E18), ausgestrahlt am 3. Mai 1983, war wie üblich eine Cartoon Zusammenstellung, in der Micky selbst auch nur ein einziges Mal zu sehen war .. im Klassiker Pluto's Party. Wie im Kino war der Zeichentrick auch im Fernsehen Anfang der 80er an seinem wohl größten Tiefpunkt angekommen. Zwischendurch versuchte Micky sich als Trendhopper; nach seiner Disco-Phase von 1979 - 1982 sprang er 1983 mit Mousercise auf die damals grassierende Aerobic-Welle auf. Seit diesem Jahr hatte Micky dann auch mit Wayne Allwine eine neue feste Stimme. Diesmal war es Jimmy MacDonald, der in Rente ging.

Was jedoch auch 1983 ins Leben gerufen wurde, war der PayTV-Kanal Disney Channel. Während vormals Disney-Material auf diversen US-Fernsehkanälen lief (durch die dortigen Lizenzregeln zum Teil auch auf wechselnden Sendern), hatte Disney nun vor, kommende Programme zunächst exklusiv und kostenpflichtig zu zeigen, bevor sie ins sogenannte Free-TV kamen. Die 1984 gegründete Abteilung Disney Television Animation hatte dabei für neues Material zu sorgen. Glück im Unglück war dann der Umstand, dass die ersten Produkte (wohl aufgrund einiger Vertragsvereinbarungen) weiterhin noch auf CBS, NBC und ABC Premiere feiern durften, was den sagenhaften Erfolg der DuckTales ab 1987 mit Sicherheit begünstigte. Von den vorab gezeigten Gummibärchen über Die Ritter des Rechts, Darkwing Duck und Käptn Balu ist die weitere Geschichte nicht weniger als ein endloser Erfolg. Aber wo war Micky? Nun, der wurde 1988 erst einmal runde 60!

Mickys Geburtstag (Teil 2)

Mickey's 60th Birthday Here's to you, Mickey Mouse
The Magical World of Disney
13.11.1988 - Staffel 33, Folge 5
nicht katalogisiertes TV-Special
18.11.1988

Man kann wohl ohne Übertreibung sagen, dass sich im Jahr 1988 die Dinge überschlugen. Don Bluths In einem Land vor unserer Zeit, Disneys Oliver & Co., Ghiblis Doppelpack mit Totoro und den Glühwürmchen, Akira und über allem thronend Roger Rabbit sind die Eckpfeiler, die über kurz oder lang die Talsohle der Animation überwanden und eine neue Zeitrechnung einläuteten, heute bekannt als die Trickfilm-Renaissance. Dass Mickys 60ster zufällig auch in dieses Jahr fiel, hat fast schon etwas Anmutiges. Dennoch blieb der Mäuserich in dieser Story nur eine Randfigur und sein Geburtstag ging, im Gegensatz zum 50sten seines Kollegen Donald Duck (1984), in dem ganzen Trubel eher unter.

In Mickey's 60th Birthday dreht es sich darum, dass Micky sich für sein Publikum etwas besonderes einfallen lassen will und dafür den alten Fantasia-Zauberhut aus der Requisite hervorkramt. Natürlich geht dabei wieder alles schief. Auf der Bühne explodiert eine Torte, in der statt Kerzen Dynamitstangen stecken. Micky verkracht sich mit einem echten Zauberer, findet sich in den Settings der Sit-Coms FamilyTies (Familienbande) und Cheers wieder, während die Disney-Company einen Suchtrupp losschickt und nebenbei Donald Duck für den ganzen Schlamassel die Schuld gibt ... wem sonst! Gespickt wurde die durchgeknallte Posse mit Dutzenden Gaststars, u.a. John Ritter, Betty White, Bette Midler, Phil Collins und natürlich dem Superstar der Stunde Roger Rabbit.


Nur 5 Tage später zeigte der Disney Channel ein einstündiges Sonderspecial namens Here's to You, Mickey Mouse. Als Hauptdarsteller treten hier Mark Linn-Baker und Soleil Moon Frye auf ... die man kennen kann, aber nicht zwingend muss. Während der Vorbereitungen zu einer Galashow anlässlich Mickys 60. treffen sich die beiden und unterhalten sich über die Karriere der Maus. Das führt dann wieder zu den damals üblichen Ausschnitt-Mosaiken diverser klassischer Cartoons. Neu gezeichnet waren die Szenen, in denen Micky die beiden heimlich belauscht, am Ende gestriegelt im Frack aus seinem Versteck hervorspringt und sich bei den beiden für ihre gute Meinung über ihn bedankt.


Totally Minnie
The Magical World of Disney
07.05.1989 - Staffel 33, Folge 25

 
 

Das Disneyland-Format wurde bereits 1986 wieder aus dem Boden gestampft. Als The Disney Sunday Movie torkelte die Franchise jedoch zweieinhalb Jahre bzw. drei Staffeln lang eher unbeholfen über die Mattscheiben. Auch das sollte sich wieder ändern. Unter dem Namen The Magical World of Disney wurde die runderneuerte Fernsehreihe am 9. Oktober 1988 in ihren dritten Anlauf geschickt - der sich bis heute hält.

Neben Mickys 60stem sticht hier eine Folge der ersten Staffel (chronologisch Staffel 33) besonders heraus. In Totally Minnie geht es um den Außenseiter Maxwell Dweeb (gespielt von Robert Carradine), der sich in Minnies Center für total Uncoole begibt, um sein Image aufzupeppen. Mit diversen dort beschäftigten Disney-Stars, u.a. Goofy als Fitnesstrainer, wird er erfolgreich durchgestylt und verknallt sich am Ende in die Direktorin des Centers (Suzanne Somers). Highlight dieser Episode ist ein Duett Minnies mit Elton John, in dem der Klassiker Don't go breaking my Heart vorgetragen wird. Die Folge war in zweierlei Hinsicht besonders. Zum einen war Minnie Maus hier zum ersten Mal Hauptdarstellerin, zum anderen wurde die Animation hier einmal NICHT von Disney produziert, sondern von dem britischen Studio FilmFair. Dieses "Outsourcing" wurde über die Jahre, zumindest was TV-Produktionen anging, zur Regel, wie wir gleich sehen werden.


The Muppets at Walt Disney World
The Magical World of Disney

06.05.1990 - Staffel 34, Folge 23

Zwischen 1989 und 1990 bekamen Fans ein paar Muppet-Specials sowie Gastauftritte im Disney-TV zu sehen. Grund dafür war Disneys geplante Übernahme der gesamtem Puppen-Franchise, die am Ende jedoch erst, und das auch nur in Teilen, 2004 vollzogen wurde. In einem der TV-Specials besuchten die Muppets, wie der Name schon sagt, Disney World und erleben dort allerlei Abenteuer. Am Ende trifft die gesamte Bande die (auf Michael Eisner gestylte) Micky Maus.

Muppet-Mastermind Jim Henson hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass er mit der Arbeit Disneys eng verbunden ist. Zahlreiche Referenzen und Insider-Gags lassen sich von der Sesamstraße bis zur Muppet-Show finden. So soll der Big Bird (bei uns Bibo) von Goofy inspiriert gewesen sein. Na ja, und Kermit und Micky treffen sich ideologisch gesehen sowieso auf Augenhöhe. Henson starb nur 10 Tage nach der Premiere dieser Sendung.


Micky in der Neuzeit

In der Mixtur aus Disneys immer weiter ansteigender TV-Präsenz und dem generell neuen Erfolg der Animation sollte endlich auch Micky aus seinem Schattendasein als Firmenmaskottchen wieder dahin zurück kehren, wo er hingehörte: in die Köpfe und Herzen der Jungen und jung Gebliebenen. Dabei quetschte er sich erfolgreich in die Lücke zwischen den aussterbenden Actionserien wie den Teenage Mutant Hero Turtles und Transformers und den kommenden Ereignissen Simpsons, Animaniacs und Sailor Moon. Die Kreativlinge arbeiteten mit Hochdruck daran, Micky wieder hip werden zu lassen. Dies gestaltete sich jedoch zunächst schwierig. Nachdem bereits das Projekt Swabbies gestoppt wurde, wo man den Mäuserich zusammen mit Goofy und Donald zur Marine schicken wollte, verschwand auch die von Christoph Columbus inspirierte Mickey Columbus vom Reißbrett. In die engere Wahl kam u.a. auch eine Idee basierend auf Dumas' drei Musketiere, die jedoch auch erst einmal in den Schubladen verschwand. Durchgesetzt hatte sich schließlich Mark Twains Klassiker Der Prinz und der Bettelknabe. The Prince and the Pauper kam 1990 als Vorfilm zu The Rescuers Down Under (Bernard und Bianca im Känguruhland) ins Kino. 1995 folgte Runaway Brain (Micky Monstermaus), nachdem Micky in diversen Filmen auch kleine Mini-Cameos hatte. Als der Konzern die Reputation ihres Stars so gut es ging wieder hergestellt hatte, ließ man ihn schließlich wieder das tun, was er schon immer am besten konnte: in Cartoons sein Talent zum Besten geben. Die TV-Reihe Mickey Mouse Works passte sich ab 1999 perfekt dem inzwischen vorliegenden Zeitgeschmack an und schaffte gekonnt einen Spagat zwischen kinderfreundlich und teenage-trendy. Darauf aufbauend wurde das Konzept 2001 zu House of Mouse erweitert. Der Bombenerfolg lieferte mit Mickey's Magical Christmas: Snowed in at the House of Mouse (2001) und Mickey's House of Villains (2002) noch zwei DtV-Ausgaben nach. Dass die immense Animationsarbeit dem philippinischem Studio Toon City überlassen wurde, störte die Fans dabei nur wenig. Die wundern sich bis heute, warum die gesamte Franchise nie ein DVD-Release erlebte oder zumindest auf Disney+ zu neuen Ehren kommen darf. 2004 wurde schließlich das Dumas-Konzept wieder ausgegraben und als Mickey, Donald, Goofy: The Three Musketeers auf VHS und DVD heraus gebracht. Mit 67min. Spiellänge war es der erste Abendfüller, in dem Micky, Donald und Goofy gemeinsam auftraten.


Auch beim nächsten Kniff bewies Disney gekonnt Kalkül. Bei der Frage, wie man Mickys erneuten Erfolg weiter führen sollte, entschied man sich pfiffig für ein zweigleisiges Konzept. Nachdem man die Maus für die Weihnachts-DVD Mickey's Twice Upon a Christmas 2004 zum erste Mal in CGI-Form präsentierte, überließ man diese neue Optik (meiner Meinung nach sehr weise) einem Vorschul-Publikum. In Mickey Mouse Clubhouse (2006 - 2016), Mickey Mouse Mixed-Up Adventures (2017–2021) und Mickey Mouse Funhouse (ab 2021) konnten und können die Kleinen ihren Disney-Helden bei lehrreichen Abenteuern zuschauen.

Auf dem zweiten Gleis machte man Micky, der bald seinen 90sten Geburtstag feiern sollte, ein ganz besonderes Geschenk. Unter dem Motto "Zurück zu den Wurzeln" wollte man den Mäuserich wieder in die Zeit seiner frechen Anfänge zurück katapultieren - und genau dies tat man 2013 im extra fürs Kino produzierten Cartoon Get a Horse! (2013) in einem wilden, aber total genialen CGI Mix. Im selben Jahr startete eine neue Cartoon-Serie mit dem schlichten Namen Mickey Mouse, die bis 2019 fünf Staffeln mit insgesamt 96 Episoden auswarf. Die meisten davon sind knackige 3-4 Minüter, in denen sich Micky endlich wieder nach Herzenslust austoben durfte. Ausführendes Studio waren diesmal die Mercury Filmworks aus Kanada. Mit The Wonderful World of Mickey Mouse wurde die Franchise ab 2020 fröhlich weiter gesponnen.

Mickys Geburtstag (Teil 3)

Mittendrin wurde dann tatsächlich Mickys 90. Wiegenfest zelebriert, nachdem man den 70. und 80. Geburtstag in den USA quasi völlig ignorierte. Auf dem Disney Channel in Europa wurde 2008 lediglich Mickey's 60th Birthday wiederholt ... na ja immerhin. Mickey's 90th Spectacular, ausgestrahlt am 4.11.2018 auf ABC, war eine zweistündige Bühnenshow mit allerlei Stars, Sternchen und welchen, die's noch werden woll(t)en. Während viele von ihnen klassische Disney-Songs vortrugen, trällerte Dwayne "The Rock" Johnson, das wohl bekannteste Gesicht der ganzen Sause, zum Glück nicht. Als Ehrengäste traten Bobby Burgess und Sharon Baird auf, zwei "echte" Mousketeers aus der Originalshow der 50er Jahre.


The Century Mouse

In 2023, dem Entstehungsjahr dieses Artikels, schaut die Maus wohl entspannt und zufrieden dem Jahr 2028 und ihrem 100. Geburtstag entgegen. Bis dahin gilt es jedoch noch einen großen Stolperstein zu überwinden. Micky, der durch zahlreiche Urheberrechte und Copyrights bis zu den runden Ohren geschützt scheint, muss 2024 durch die erste Public Domain Hürde seines Lebens. Inwieweit sich diese partielle Gemeinfreiheit auf die Medienlandschaft auswirken wird, das muss und wird die Zeit zeigen. Da dieses Thema recht komplex ist, hatte ich bereits im Vorfeld beschlossen, einen gesonderten Artikel darüber zu verfassen, den mein geschätzter Kollege Sir Sidney "Donnerbold" Schering freundlicherweise auf seinem Bagatellen-Blog veröffentlicht hat: Von blutigen Bären und dampfenden Mäusen.


Die Sprecher
(oder: Die Reputation eines Vergessenen)

Die klassische Phase bis 1988 im groben Überblick: Auch wenn bislang nur ein aufgetauchter Beweis existiert, so kann man von Clemens Hasse (einem "Mitschüler" Heinz Rühmanns in seiner berühmten Feuerzangenbowle) wahrscheinlich als erste deutsche Stimme von Micky Maus ausgehen. Sein Tod im Jahre 1959 deckt sich zudem mit dem Auftauchen von Harry Wüstenhagen, Mickys Feststimme der 60er Jahre. In den 70ern übernahm Wilfried Herbst die Rolle, wobei anzumerken ist, dass Wüstenhagen- und Herbst-Synchros zu der Zeit parallel nebeneinander existieren durften. In der TV-Zeit der 80er Jahre durfte Altmeister Eckart Dux sein Talent zum Besten geben, während ein paar Kinorollen Dr. Michael Nowka zufielen. Andreas Mannkopff (Kino 1977) dürfte dann wirklich nur ein Einzelfall gewesen sein, den ich auf der entsprechenden Seite bereits augenzwinkernd kommentiert habe. Keinem der hier genannten klassischen Schauspieler möchte ich dabei etwas Negatives ankreiden, alle taten gekonnt ihren Job. Im Vergleich mit dem Original fällt jedoch beim Trio Wüstenhagen, Dux und Nowka eine gewisse "Flatterigkeit" (oder "Flatterhaftigkeit"?) in der Stimme auf, die weniger beim Chargieren entsteht, sondern bei den drei Herren von jeher dazu gehörte, in höheren Tonlagen jedoch deutlicher auffällt. Herr Herbst war der einzige, dem ein geradliniger Ton gelang, wobei hier wiederum ein nasales Kieksen zum festen Charakter gehörte.

Umso mehr ist es auch hier wieder erstaunlich, wie ambitioniert die Institution Disney Character Voices, Inc. wohl vorgegangen sein muss, um für die Zusammenstellung eines neuen, festen Teams quasi perfekte Stimmen zu finden, und das gleich zweifach. Im ersten, wohl noch von Warner Brothers angeleiertem Casting um 1988, entpuppte sich Jonas Ziegler als ein Talent, dass dem Original unheimlich nahe kam und dem Team Alich-Krause hoffnungsvoll zur Seite gestellt wurde. Seine Zeit als Micky Maus währte jedoch nur kurz, was wiederum der Reputationswiederherstellung (was für'n Wort) von Micky selbst geschuldet gewesen war. Für Der Prinz und der Bettelknabe wurde Anfang der 90er ein Sprecher mit Gesangstalent gesucht - ein Bereich, den Ziegler leider nicht abdecken konnte. In einem Mailwechsel mit mir gab der Mann an, am Ende froh über Disneys Entscheidung gewesen zu sein, weil das Chargieren doch schon sehr seine Stimmbänder belastet habe. Die Geschichte hatte jedoch zur Folge, dass Herr Ziegler, der in der Synchronlandschaft eher für Kleinrollen eingesetzt wurde, hier nun auch bei "harten" Disneyfreunden wie mir unter dem Beifuss "ach da war doch noch ..." geführt wurde. Das werde ich weiter unten einmal ändern. Um 1992 fand sich also ein geeigneter Synchronschauspieler für die besagte Bettelknaben-Rolle: Mario von Jascheroff. Dabei scheint sich der gute Mann in vielfacher Hinsicht - und auf kürzeste Zeit - als perfekte Wahl herausgestellt zu haben; er übernahm fortan auch die Dialogregie um alles, was mit Micky und seinen Freunden zu tun hatte. Bis heute (wie gesagt 2023) leiht Herr Jascheroff mit viel Hingabe seinem Zögling die Stimme - als letztes noch verbliebenes Mitglied eines einst kongenialen Dreierbundes.

Warum mir an dem Ansehen Herrn Zieglers etwas liegt, hat einen Grund. Noch heute werden Synchronbearbeitungen von ihm verwendet, die aufgrund des oben dargestellten Werdeganges jedoch Herrn Jascheroff zugesprochen werden. Da Ziegler sich an wichtige Eckdaten nicht mehr erinnern kann und Jascheroff bis dato leider nicht zu einem Interview bereit ist, musste ich durch die Sichtung allen mir zur Verfügung stehenden Materials selbst nach einer Lösung suchen ... und ich fand sie!

Im Vorfeld muss ich dazu sagen, dass die beiden Herren in ihren Tonlagen wirklich nur auseinander zu halten sind, wenn man sich die Arbeiten parallel und in kompakter Form anhört. Inzwischen hat sich Herr Jascheroff eine Routine erarbeitet, an der man ihn klar erkennen kann, aber auch er hat als Micky erst einmal anfangen müssen - und genau darum geht es hier. Also wie lief die Geschichte ab?

Gehen wir zurück in die Zeit 1988/89: Disney beginnt weltweit, die Synchronlandschaften stärker zu überwachen, bzw. überwachen zu lassen. Jonas Ziegler wird als Micky engagiert und spricht für ein paar Leih- und Kaufkassetten die Maus ein, eventuell auch für andere Projekte. Für das deutsche TV-Format Disney-Club übernimmt nun die DTV-I die Synchronüberwachung, es kommt zu einem geraden Schnitt: Alles, was vor dem DC eingesprochen wurde, ist "Altlast", alles wird neu eingesprochen ... auch von Ziegler. Ca. zwei Jahre später betritt nun Jascheroff die Bühne und übernimmt Zieglers Platz. Es folgt eine Spekulation meinerseits: Obwohl beide Herren ein nahezu identisches Timbre haben, Herr Jascheroff anfänglich aber eventuell noch nicht seine endgültige Form gefunden hat, werden die fünf Cartoons, die 1992 mit Jascheroff eingesprochen werden, minimal nach unten gepitcht, um einen (kaum hörbaren) Bruch beider Stimmen zu vertuschen. Dabei wurde nur einer dieser Cartoons - Mickey's Garden - vormals von Ziegler synchronisiert. 1993 wird nachweislich kein Cartoon-Material neu eingesprochen, weder im TV noch für Kaufmedien - im DC laufen nur Wiederholungen. 1994 wird dann die Bearbeitung klassischen Materials weiter geführt - und seitdem darf Jascheroff unbearbeitet die Maus geben. Die berühmte Ausnahme der Regel ist der Bettelknaben-Film selbst, Jascheroffs Einstand, an dem nichts manipuliert wurde, wahrscheinlich weil ein direkter Vergleich mit TV-Ausstrahlungen als zu abwegig eingestuft wurde.

Dieser Werdegang, den ich wirklich in akribischer Kleinarbeit austüfteln musste, hinterließ ein buntes Allerlei an Synchronbearbeitungen, wie es kurioser nicht sein kann. So kann ich von Mickey and the Seal, Brave little Tailor und Pluto and the Armadillo jeweils zwei Ziegler-Bearbeitungen nachweisen, während "nur" sechs Ziegler-Synchros durch Jascheroff ein Update erhielten. Es gibt auch Doppelsynchros mit Jascheroff, aber das hat andere Gründe. Hört sich alles ziemlich konfus an, oder? Das ist es auch. Eine genaue Auseinanderklabüsterung mit weiteren kleinen Kuriositäten würde hier jedoch zu weit führen. Worauf ich am Ende hinaus will, ist dass im Bereich der klassischen Cartoons das Verhältnis von Ziegler- und Jascheroff-Synchros sich bis heute so ziemlich die Waage hält - wobei der schwarz-weiße Back-Katalog Mickys hier nicht mitzählt, den hat Jascheroff komplett selbst bearbeitet, da diese Filme erst ab 1994 zum Einsatz kam. Also los, holt Eure alten VHS, TV-Aufzeichnungen und DVDs raus, schaltet auf Disney+ und ratet selbst, wo welcher der Herren zu hören ist. Viel Spaß dabei!