Die Disney-Synchronisationen im Vergleich

Teil 3 : deutsche Geschichte und Stachelbeeren

Schneewittchen und die sieben Zwerge


Objektivität bei der Beurteilung von Synchronarbeiten ist 'ne schwierige Geschichte. Schnell kann sich das Urteil mit der Meinung vermischen, die man über den Film selbst hat. Doch wer macht sich schon tiefere Gedanken zu prinzipiell schlechten Filmen ? Als ich anfing, Filme auf DVDs zu kaufen und so auch mal in den Genuss von englischen Originalfassungen kam, wurden mir nach und nach eine grundlegende Sache klar:

Die deutsche Bearbeitung macht aus dem Original ein völlig eigenständiges Werk, das in vielerlei Hinsicht kaum noch etwas mit dem Original zu tun hat. Nein nein, ich will hier jetzt gar nicht die Verfremdung einzelner Dialogfetzen oder die stimmlichen Unterschiede zu den Originalschauspielern anmahnen; dessen ist sich ja wohl jeder selbst bewusst, nein ich meine etwas anderes. Die Synchro macht aus einem fremdländischen Film einen DEUTSCHEN Film (bitte zweimal lesen um zu begreifen, was ich meine). Wenn mir ein Hollywoodstreifen, der sehr dialoglastig ist, besonders am Herzen liegt, so tut er das primär aufgrund der Leistung der Synchronsprecher und dem sorgfältig ausgearbeitetem Buch ... und nur sekundär in seiner Gesamtheit als Film. Als Beispiel nenne ich da Die zwölf Geschworenen, Einer flog über das Kuckucksnest, Eine Frage der Ehre und sogar simple Komödien wie etwa Dave. Angenommen, in den 40er Jahren hätten sich in Deutschland die Untertitel durchgesetzt und ich wäre später damit aufgewachsen ... ich bin mir nicht sicher, ob ich diese Filme heute in meinem Schrank stehen haben würde.


Schneewittchen und die sieben Zwerge

Bei der Erstfassung Schneewittchens haben wir es im übertragenen Sinne wahrlich mit einem deutschen Film zu tun. So viele Punkte kommen hier zusammen, als dass sie in ihrer Einzigartigkeit beispiellos ist und im Grunde nicht nötig hat, den anderen Versionen im Vergleich gegenübergestellt zu werden. Punkt eins: Die Fassung ist akustisch und lingual authentisch, da sie, von Disney persönlich mitüberwacht, noch in den 30er Jahren erstellt wurde. Technisch wurden dieselben Verfahrensweisen angewandt wie auch im Original, so wurde z.B. der deutsche Sprecher des Spiegels gleich der Originalstimme Moroni Olsen in eine menschengroße Trommel gesteckt, um dem magischen Spiegel sein charakteristisches Wesen zu verleihen. Punkt zwei: Die Stimmengewalt der hervorragenden deutschen Theatermimen katapultiert den Film streckenweise auf eine Stufe, an der sich gar das Original messen muss. Von dem Alltag eines Synchronstudios wusste man damals noch nichts, die Synchronbranche kannte noch keine Routine. Wie zum Sturm gerufen, damit auch der letzte Zuhörer auf dem Sperrplatz in den freudigen Genuss komme, brechen die von Meisterhals bewegten Luftströme in das unvorbereitete Ohr und verfangen sich in den Hirnwindungen auf ewig. Hier zeigt sich eine Theatererfahrung der höchsten Güte, wie sie heutzutage einfach nicht mehr zu finden ist. Unterschwellig wird dies natürlich noch durch den fiktiven Handlungsort unterstützt, der, wie schon in Pinocchio, ein europäisches, wenn nicht sogar deutsches Flair in sich birgt, was ebenfalls für die Authentizität Walt Disneys spricht. Punkt drei: Diese Fassung ist nicht einfach nur "ne alte Synchro", sie ist filmgeschichtlich ein Stück Zeitgeschichte. Man wagt fast nicht darüber nachzudenken, unter welchen politischen Umständen (vielleicht auch Gefahren) sie möglicherweise angefertigt wurde. Wenngleich sie auch den technischen Anforderungen des DVD-Zeitalters vielleicht nicht mehr gerecht werden kann, was ich in diesem speziellen Fall gar nicht bestreiten möchte, so wäre ihr Verschwinden in ihrer historischen Einmaligkeit ein unersetzlicher Verlust in der gesamten deutschen Kulturlandschaft. Soll sie doch als knackende und rauschende Monospur in einem nur schwer zu findenden Untermenü anwählbar sein und von einem Erzähler mit erhobenem Zeigefinger, gleich eines Leonard Maltins, vorkommentiert werden, nur lasst sie uns. Wie bitte, die FSK muss dann wieder hochgesetzt werden ? So ein Schwachsinn, diese Horrorszenarien der Hexe einschließlich ihres derben Ablebens würde ich einem vierjährigen Kind sowieso nicht zumuten wollen. Liebe BV Vorstandsmitglieder, habt ihr eigentlich selbst Kinder?

Und damit sind wir beim Update von 1938 auf 1966. Entgegen der allgemeinen Meinung hat es in diesem speziellen Fall quasi nichts mit kinderfreundlichen Dialogen und dergleichen zu tun. Dass die Königin Schneewittchen töten will und der Jäger sich mit gezücktem Messer an das arme Kind heranschleicht, um dies zu tun, kann auch der begabteste Dialogregisseur beim besten Willen nicht schönreden lassen - gut getan, Herr Disney. Lediglich auf die Textzeile der Zwerge Schlagt ihm (dem angeblichen Monster) den Kopf ab wurde im direkten Vergleich verzichtet, töten wollen sie das "Monster" natürlich auch noch in der 66er Synchro. So bleibt als Grund für die erste Neufassung primär nur eine Auffrischung der deutschen Sprache an sich. Bei dieser rhetorischen Sezierung tat man jedoch nicht selten den Schritt zurück statt voraus. So wurden aus Spinnweben die veralteten Spinnengewebe und die Erdbeertorte mutierte zum unsinnigen Stachelbeerkompott. Überhaupt sind viele einzelne Worte wie auch ganze Sätze in ihrer Silbenzahl absolut Dialog-überladen und dadurch gar nicht mehr lippensynchron. Das Paradebeispiel, sowohl für die Veralterung der Sprache als auch die Dialoglast, liefert Zwerg Brummbär, alias Ernst Legal, der mit seiner herrlichen Stimme und Worten wie Quatsch, alter Trampel und Schafskopf den alten Querulanten brillant rüberbringt, wo andere kläglich versagten. Hier zum Vergleich (links jeweils die alte Fassung) :

Beispiel1 : Äh, saubere Stühle - Auf den Stühlen ist Staub gewischt
Beispiel2 : Hier stimmt doch was nicht - Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu
Beispiel3 : So was hab ich kommen seh'n - Ich hab doch gewusst, dass ein Haken dabei ist

Disneys Vorhaben, mit wenigen Worten den offensichtlichen Zusammenhang nicht aufzublähen, was der Arbeitsweise eines Alfred Hitchcocks gleichkommt, wurde 1966 in grenzenloser Missachtung zunichte gemacht. Ich frage mich manchmal wirklich, ob sich die Medien nur der wachsenden Verdummung anpassen oder die Verdummung auf die unsachgemäße Handhabung der Medien zurück zu führen ist. Pisaturm ick hör Dir fallen !!!

Bei der Stimmenauswahl von 1966 wurde, der Zeit angemessen, durchaus Hochkarätiges aufgefahren. Was für Drogen Eberhard Cronshagen jedoch bei der Rollenverteilung der Zwerge genommen hatte, wüsste ich wirklich nur zu gerne. Hätte Karl Helmer den Happy und Griesgramstimme Eduard Wandrey den Brummbär gegeben (und nicht umgekehrt), wäre ich zumindest gewillt gewesen, einen 1zu1 Synchronitätsversuch zur Erstfassung erkennen zu können. Ich bilde mir deshalb einfach ein, dass sich im Dialogdrehbuch damals der Fehlerteufel eingeschlichen haben muss. Klasse dagegen Walter Bluhm in bester Stan Laurel Manier in der Rolle des ewig verschnupften Hatschi, während Herr Krause als Chef in seiner brüchigen Art genauso negativ auffällt wie auch als Gepetto in Pinocchio (ich mag seine Stimme einfach nicht - upps, das war wieder eigene Meinung). Gisela Reißmann vollbringt hier, wenngleich sie an das Original von 1938 nicht im Mindesten herankommt, die beste Leistung ihrer Disneykarriere. Die Szene, in der sie sich in die Hexe verwandelt, wird durch sie zum schauerlich schönen Akt, der dem Zuschauer auch nach dem Kino noch im Nacken sitzt. Unübertroffen und an Schönheit und Modulation stets zauberhaft ist die jugendliche Stimme von Susanne Tremper, welche die 66er Version von Schneewittchen durchaus zu einem Muss für alteingesessene Disneyfans macht. Ich möchte jedoch an dieser Stelle, bevor es harsche Kritik regnet, entgegnen, dass die Gesangsstimme der deutschen Fassung von 1938 nicht nur ebenfalls wundervoll ist, sondern dazu dermaßen dem Original von Caselotti ähnelt, dass einem gerade hier das Bemühen Walt Disneys vor Augen geführt wird, auch den ausländischen Fassungen vollkommene Authentizität zu geben.

Trauriges Highlight der zweiten Synchro ist und bleibt Arnold Marquis, ansonsten von mir hochgeschätzt, der auf den Tötungsbefehl hin lediglich ein klägliches "ach nicht doch" (im übertragenen Sinne) hervorbringt, so als hielte ihn die Königin bloß von einem wichtigen Golfspiel ab... ein Dokument von beispielloser Anti-Dramatik, das bis heute seinesgleichen sucht ...


Die 90er - oder das Jahrzehnt der technischen Unmöglichkeiten
(Untertitel: Wer führt Frau Frisch bitte in den Wald ?)

Die Fabius-Kritik zu Schneewittchen, die sich der Leser ruhig einmal zu Gemüte führen sollte, handelt die dritte Synchronfassung in nur wenigen Worten als schluderig ab. Ich möchte hier einen tieferen Einblick bieten, was denn hier nun das besonders Schlimme an der ganzen Sache ist. Dazu muss ich jedoch etwas ausholen.

Wir versetzen uns ins Jahr 1983. 20th Century Fox hat den irrwitzigen Plan, das Schneewittchen für den neuen Kinostart frisch zu vertonen. BSG stellt sich dagegen, in ihren Augen kann die Version von 1966 nicht mehr verbessert werden. Somit wird die Tonspur in Stereo aufgefrischt und den Filmspielhäusern zur Verfügung gestellt. Szenenwechsel: 1993 beschließt Buena Vista, das Dschungelbuch neu zu vertonen, hat sogar schon sämtliche Sprecher zusammen getrommelt. In letzter Minute ergibt eine Meinungsumfrage, dass das deutsche Volk womöglich auf die Barrikaden ginge, wenn man Hand an ihren liebsten Film überhaupt legen würde; das Projekt wird zurück gezogen. Statt dessen wird das Schneewittchen überarbeitet. Das Umfrageergebnis veranlasst BV jedoch dazu, das alte Dialogbuch zu verwenden, es wird zu 97% exakt derselbe Text eingesprochen wie 1966, zwei Prozent kommen gar aus der Fassung von 1938. Und, um die kontroverse Sachlage in den Augen der Verantwortlichen noch ein wenig abzumildern, wird die Tonspur einem technischen Alterungsprozess unterzogen, damit sie nicht all zu neu klingt.
Wenn jemand in dieser Verfahrensweise eine gewisse Logik erkennt, so möge er mir das bitte mitteilen. Die Tatsache jedenfalls, dass das Dschungelbuch immer noch in bester Qualität auf DVD zu hören ist, macht jegliche Argumentation unglaubwürdig, die behauptet, Schneewittchen wäre nur aufgrund des schlechten Archivmaterials überarbeitet worden. Es sei in diesem Zusammenhang jedoch ein letztes Detail erwähnt. 1966 befand sich eine andere Texttafel im Anfang des Films, die von Heinz Petruo vorgelesen wurde, während man 1994 wieder auf die ursprüngliche Tafel von 1938 zurückgegriffen hat. Da man jedoch auch Cinderella mit einer neuen Einleitung verhunzen kann, hätte man auch in diesem Fall basteln können. Und da ja auch der restliche Text nicht großartig verändert wurde, bleibt unterm Strich lediglich ein Grund übrig: Eine Neusynchro ist billiger als die Aufarbeitung einer alten Tonspur.

Und billig klingt sie denn auch, diese Neufassung. Während man einem Manfred Lichtenfeld in der Rolle des Chef-Zwerges noch mit einem gewissen Wohlwollen begegnen kann, fällt die restliche Sprechercrew in ein bodenloses Loch der Unglaubwürdigkeit und Langeweile. Sehr schön bzw. schrecklich zu hören ist auch das neumodische Verfahren, die Schauspieler einzeln ihre Parts sprechen zu lassen. Wo man früher in Teamarbeit am Mikro stand, werden heutzutage nur noch die einzelnen Fragmente später aneinander geklatscht. Dazu bitte ich einmal intensiv um den Vergleich der Hörproben 2 und 3 von Brummbär weiß alles, wo die Zwerge sich 1994 völlig unlogisch überlagern, während sie 1966 noch sinngemäß einander antworten. Der Gipfel schlechthin ist Kerstin Sanders-Dornseif, die sich in ihrer Rolle als Königin mehr zu einer versnobten Diva steigert als einer gefürchteten Stiefmutter.
Anmerkung am Rande : Ich persönlich glaube bis heute nicht an ein Mitwirken von Gisela Fritsch.

Das Allerschlimmste ist jedoch der absolut katastrophale Zustand des Bildmaterials. Wie durch ein Fass Verdünnung gezogen wirken die Farben, als wollen sie jeden Moment aus dem Bildschirm tropfen und nur der Kleister der Synchronschnipsel scheint sie davon abzuhalten. Für mich steht außer Frage, dass, nimmt man sämtliche Animationsfilme zum Vergleich, Walt Disneys historisch wertvollstes Werk dem gemeinen Konsumenten nur noch in dem grässlichsten Zustand aller Filme zur Verfügung steht.

Fazit: Schneewittchen war 1975 mein erster Kinofilm. Er hat mich derart beeindruckt, dass ich bis heute trotz aller Qualitätseinbußen späterer Werke ein treuer Disneyfan geblieben bin. Hätte ich im Alter von sieben Jahren die Videofassung gesehen, würde ich diesen Eindruck mit Beginn meiner Pubertät ebenso abgestreift haben wie ich es meinerzeit mit Bussi Bär und Hui Buh getan habe. Zurück bleibt nichts als Leere.....


Und hier nun die akustischen Beweise dafür,
dass ich mir das alles nicht nur aus den Fingern gesaugt habe :

 

die böse Königin ju-ho ääh hei-hei

diese ewigen Frauen Brummbär weiß alles

Frühjahrsputz 9. Sinfonie mit Rhythmus

Sprich Spiegel mein Traum vom hohen Ais

ein giftiger Apfel

Am Brunnen vor dem Ohre
Original contra Kopie
3:1 für Caselotti
*

* Da dieser Gesangspart wohl recht schwer ist, hat man bei manchen Versionen das Original von Caselotti mit hinein geschnitten, so 1938 und auf der VHS Version von 1994. Auf der DVD singt Wilcke nun selbst, ebenso Tremper 1966. An das Original kommt freilich keine der Damen heran.

*

        .. und ewig singen die Prinzen

Man beachte bitte den *Regiefehler beim Gesang René Kollos, dem fälschlicherweise das Brunnenecho auferlegt wurde.


Zu guter Letzt nur einfach, weil's grad so schön zum Thema passt, ein Hörvergleich der Zauberharfe aus Micky und die Bohnenranke (außerhalb der Wertung) ! Die Version mit Susanne Tremper links stammt ebenfalls von 1966, die rechte ist ca. 30 Jahre jünger.


Teil Vier (Arielle und andere Grausamkeiten)

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