Die
Disney-Synchronisationen im Vergleich
Teil 2 : künstlerische Freiheit und lapidare Faulheit Pinocchio - Susi & Strolch - 101 Dalmatiner |
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Ist den Synchron-Bearbeitern das Ohr des Zuhörers egal ? Haben die Verantwortlichen in ihrem eng gestrickten Terminplan keinen Raum für künstlerische Freiheit ? Ein klares NEIN an dieser Stelle ! Es gibt in vielen Synchronfassungen
immer wieder Beispiele dafür, dass Dialogregisseure durchaus Wert auf Qualität und
Kontinuität legen, soweit es ihre Möglichkeiten zulassen, womit die These einer
oberflächlichen Synchronbranche widerlegt wird. Ein sehr gutes Beispiel liefern hier
kurze Einspielungen älterer Filmausschnitte in neueren Produktionen. Um es zu
verdeutlichen: In einer Serie wie etwa Gilmore Girls sitzen
die Darsteller vor dem Fernseher, in dem eine Folge der Simpsons läuft. Die kurze Szene
(welche vielleicht ein paar Sekunden dauert) zeigt Bart im Gespräch mit seinem Vater
Homer. Durchleuchten wir einmal die Möglichkeiten, die sich einem Regisseur hier bieten : Worauf es den Synchronstudios in erster Linie ankommt ist, dass der Zuhörer nicht merkt, dass hier synchronisiert (oder gar neusynchronisiert) wurde. Der Film soll mit der deutschen Sprache eine Einheit bilden und den Gedanken von Studiotechnik und fremd erstellten Dialogen ablenken. Hier ist denn auch, wie bereits in Teil Eins des Synchronvergleichs erwähnt, der Grund für Disney-Neubearbeitungen zu finden. Eine Runderneuerung von scheinbar veraltet gesprochenen Dialogen versetzt den Film erneut in eine temporäre Zeitlosigkeit. Markante Sprecher der älteren Fassungen, die auch Nicht-Versierten im Ohr hängen blieben, wurden ja schließlich auch erneut engagiert, so geschehen mit Georg Thomalla in Pinocchio, Harry Wüstenhagen und Ursula Krieg in Susi & Strolch und Beate Hasenau in Arielle. Man kann also nicht behaupten, dass die Studios nicht zumindest ansatzweise dem Publikum entgegenkommen. "Normale" Frauen- und Kinderstimmen bleiben der Allgemeinheit dagegen weitaus weniger im Gedächtnis und sind dadurch ... ersetzbar. Jeder muss sich hier stets vor Augen führen, dass sich nur ein verschwindend kleiner Kreis von Menschen sich überhaupt intensiver mit der Materie Synchronarbeit beschäftigt ... und mit Sicherheit sind Artikel wie dieser dem ganzen Gewerbe ein Dorn im Auge (ein tolles Gefühl) ! |
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Pinocchio Eine 100%ig objektive Stellungnahme kann ich zu diesem Film in zweierlei Hinsicht nicht liefern. Zum einen gibt die mir vorliegende Hörspielfassung nicht vollständig das Flair der ersten Synchro wieder, zum anderen mochte ich Pinocchio persönlich noch nie besonders und kann ihm, ehrlich gesagt, nur im englischen Original etwas mehr abgewinnen. Auch bei der Auswahl der Synchronsprecher bin ich zweigeteilt. So ist in der Neufassung Oliver Rohrbeck in der Rolle des Pinocchio ungleich besser als in der des naseweißen Klopfer in Bambi. Auch Harald Juhnke mag mir als Fuchs John von der Tonlage her gefallen, wenngleich Juhnke als Synchronsprecher allgemein in meinen Augen dem Job nicht gerecht wird, da er selbst als Person zu bekannt ist/war. (Ein Problem, das ich auch mit Otto Waalkes als Mushu in Mulan habe). Klaus W. Krause dagegen quält sich als Gepetto mit seiner brüchigen Stimme derart kränkelnd durch die Geschichte, dass man ständig um seine Gesundheit bangen muss (um Krause, nicht um Gepetto), während die warme Stimme Walter Werners in der ersten Fassung eine wohlige und glaubwürdige Herzlichkeit verspüren lässt. Und auch wenn er 1971 zugegebenermaßen schon etwas brüchig klang - Thomalla schließlich ist und bleibt Thomalla, wie alt er nun bei dieser oder jener Synchro auch gewesen war. Dies alles ist jedoch (wie gesagt) nur meine persönliche Meinung und nicht besonders objektiv. Eine klare Aussage treffe ich dagegen
wieder bei der Bearbeitung der Dialoge, die in der ersten Fassung wunderbar harmonisch und
rund sind und der fiktiven Zeit der Handlung gerecht werden. Wenn ein Zuschauer mit
genügend Fantasie den Film betrachtet, wird die Umgebung ihn in ein altes europäisches,
ja vielleicht sogar süddeutsches Dorf versetzen. Die erste Synchronfassung unterstützt
dieses Gedankenspiel vortrefflich, die zweite vermag dies mit seinem Berliner Touch gewiss
nicht mehr. Jiminy duzt die Fee, statt sie wie in Fassung Eins respektvoll zu siezen, und
genau so zieht sich die gesamte Sprachmodulation durch den Film, dem somit das
märchenhafte Moment gänzlich abhanden kommt. Die steril und routiniert klingende
Bearbeitung verweigert sich einfach dem Gefühl von einer liebevoll erzählten Geschichte. Der Soundtrack inklusive aller Hintergrundgeräusche wurde in der zweiten deutschen Fassung ins kaum noch genießbare Off geschoben. Er ist dumpf, leise und kann den Zuschauer (bzw. -hörer) kaum noch davon überzeugen, dass es sich hier um eine der besten musikalischen Arbeiten Disneys überhaupt handelt.
Auch zu Pinocchio bietet die FABIUS-Homepage eine eigene Kritik an. |
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Susi
& Strolch Einleitung der alten Fassung: In der ganzen Welt gibt es nur ein Ding, das man mit Geld nicht kaufen kann, und zwar das Schwanzwedeln eines Hundes. -Josh Billings- Einleitung der neuen Fassung : Seit die Erde besteht, gibt es etwas, das man mit Geld nicht kaufen kann... die Freundschaft eines Hundes. -ohne Autorenangabe- Sollte der mögliche O-Ton der Regie etwa gelautet haben : "Was hat ein Schwanz in einem Disneyfilm zu suchen ? Weg damit !" ? Nun, da täten wir Herrn Riethmüller sicherlich unrecht, denn :
Nirgendwo im Bereich der Disney-Neusynchros bringt mich eine genauere Analyse so durcheinander wie der Fall von Susi & Strolch. Die alte Fassung ist nach meinem Geschmack zwar die bessere, doch lassen wir das einmal außen vor. Vielmehr suche ich nach einem triftigen Grund für eine Überarbeitung, kann sie aber einfach nicht finden. Kleinere Dialogfehler der alten Fassung wurden 1975 durchaus verbessert. So wurde Susi natürlich nicht geschlagen (Synchro 1) sondern hatte nur einen Klaps erhalten. Andere Stellen wiederum deuten nicht gerade auf eine "kindgerechte" Verbesserung hin. So wird aus "zuviel Pamps" - "zuviel Kalorien" und Susi sagt nicht mehr, dass sie beim Hundefänger "so unglücklich" war, nein sie war "so deplaziert" ... in meinen Augen selbst ein völlig deplaziertes Wort. Fragwürdig ist auch die Zeile Wir behandeln and're wie Knechte im Lied der Siamkatzen. Hatte Riethmüller das Originalscript etwa nicht zum Abgleich vorliegen oder einfach nur einen schlechten Tag ? Man weiß es nicht, jedenfalls klingt die gesamte Neuauflage wie "gewollt und nicht gekonnt". Sie kommt weder dem Verständnis eines Kleinwüchsigen entgegen noch dem gehobenen Geschmacks eines Erwachsenen. Rigoros getilgt wurden, so gut es
ging, wieder jegliche Klangfärbungen fremdländischer Kulturen, sei es die ostdeytsche
Wortklauberei Strolchs (Hörbeispiel), der schottische Akzent Jocks oder der äußerst
laszive Österreich-Dialekt der Hundedame Peggy. Ein Wunder, dass der russische Hund Boris
und die beiden italienischen Köche weiterhin ihr Timbre behalten durften. Erich Fiedlers
Wechsel von Toni zu Joe ist dabei eine eher belustigende Anekdote in dieser Thematik ...
Riethmüller MUSSTE einfach Edgar Ott irgendwo unterbringen (wahrscheinlich ein
Rahmenvertrag). Warum taucht in diesem blöden Film auch kein Bär auf ... das Leben ist
manchmal so ungerecht !!! Da weder Fiedler noch Ott das Lied Bella Notte als Sänger zum Besten geben, bleibt
die Besetzung eine Frage des Geschmacks. Was nun Margot Leonard in der Rolle der Susi angeht, so mag mancher oberflächlich behaupten, ihre Stimme sei ein wenig zu dominant für ein naives Hundeweibchen und würde hier den noch sehr frisch klingenden Wüstenhagen glatt an die Wand spielen. Es stimmt zwar, dass Frau Leonard vorwiegend für einen ganz anderen Typus Frau eingesetzt wurde, etwa Marilyn Monroe, Brigitte Bardot oder Diana Rigg in der Rolle der Emma Peel (Mit Schirm, Charme und Melone). Wer sich jedoch die alte Fassung komplett anhört, wird eines Besseren belehrt; die Sprecherin ist einfach zu gut, um nicht auch in dieser Rolle zu überzeugen. Die Parallele ziehe ich dabei zu Judy Garland, der Leonard in Der Zauberer von Oz eine ähnliche Naivität aufdrücken konnte. ( Die Backgroundmusik-Vergewaltigung verhält sich stets wie bei allen anderen Filmen. Es lebe 5.1 )
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Pongo & Perdi / 101 Dalmatiner Kommen wir zur letzten Neubearbeitung von Heinrich Riethmüllers, die 1980 erstellt wurde. Ich möchte zu der zweiten Fassung des Films nichts all zu Negatives sagen. Die Sprecherauswahl ist hervorragend, Beate Hasenau, Arnold Marquis und Claus Jurichs passen wunderbar auf die Figuren, Eckart Dux und Brigitte Mira hätten gar Modell für ihre Rollen stehen können. Eine tiefgreifende Gegenüberstellung beider Versionen wäre zuviel des Guten, sie haben beide ihre Pro und Contras und unterm Strich sind sie beide koexistent. Was ich bei der zweiten Fassung jedoch vermisse, ist der gewisse Biss in den Dialogen, vor allem im Zwiegespräch der beiden Gauner. Hier blüht Harry Wüstenhagen (wie immer) zu Höchstform auf und lässt dazu im Vergleich Jochen Schröder total verblassen. Allerdings liegt der Grund für eine Überarbeitung denn auch wohl eben in diesem Dialogen, soviel ist sicher. Der Film bedient sich einer sehr erwachsenen Sprache, in der es von Wörtern wie Mord, Tod und Teufel nur so wimmelt, schließlich wird hier viel geflucht und noch mehr verflucht. Cruella tituliert die Welpen als Bastarde (später Promenadenmischungen), und sie selbst war zunächst das Teufelsweib, was später zur grässlichen Frau abgemildert wurde. Ich möchte damit nicht sagen, dass ich den Grund für eine Neufassung aus dem Grund billige, aber wenigstens hier kann ich Disneys Kleinkinderpolitik zumindest ein wenig nachvollziehen. Bleibt eigentlich nur die Frage, warum sich die damals Verantwortlichen der ersten Fassung einer teilweise so derben Sprache bedienten. Wahrscheinlich hielten sie Kinder damals für reifer als es heute angenommen wird, ja so muss es wohl sein. Dass eine Frau in Hundeaugen von hübsch zu lecker mutiert, liegt dann wohl an der sexuellen Revolution der 60er/70er Jahre. (Ich hoffe mein ironischer Unterton wurde hier wahrgenommen.)
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Epilog : Riethmüller Heinrich Riethmüller kam zur Synchronisation wie die Jungfrau zum Kinde. Als gelernter Kirchenmusiker war trotz seines späteren Wirken im Bereich der Unterhaltungsmusik in erster Linie die "ernste" Musik sein Metier. Anfänglich war er "nur" musikalischer Leiter bei Disneyfilmen, und im Ganzen gesehen ein Anfänger auf dem Gebiet. Doch wer möchte bei der Bearbeitungen von Mary Poppins und spätestens dem Dschungelbuch all zu negativ über ihn denken wollen. Schließlich ist Letztgenannter der beliebteste Film der Deutschen und das ist ohne Frage AUCH Heinrich Riethmüllers Verdienst. Wer weiß, was andere Leute bei den Übersetzungen alles für Fehler gemacht hätten. Was für eine Schlittenfahrt hätte wohl Horst Jankowski bei Bambi durchgezogen, und wie würde heute Aristocats klingen, wenn Paul Kuhn nicht nur das Titellied gesungen hätte ? Die Frage muss offen bleiben. Es stellt sich am Ende nur eine abschließende Frage : Warum dürfen wir uns eigentlich noch immer an vier alten Synchronfassungen erfreuen ? Waren Alice im Wunderland und Peter Pan damals in ihrer musikalischen Vielfalt eine Spur zu groß für Riethmüller ? War das Studio zu faul oder zu unbegabt, die choralen Gesänge von Dornröschen und Cinderella neu zu arrangieren ? Oder war es terminplanmäßig einfach nicht möglich, die vier Filme noch irgendwo dazwischen zu quetschen ? Tja, ich habe zum Glück auf diese Fragen keine Antwort, doch möchte ich einmal einen Tipp liefern, mit dem sich jeder seine ganz eigenen Gedanken machen kann. In den fünf neu bearbeiteten Filmen sind die Hauptdarsteller eine Holzpuppe, ein Rehkitz, ein Elefant und vier Hunde - in den nicht berührten Filmen sind es ... ein Mensch ... ein Mensch ... ein Mensch ... und ein Mensch ! Noch nie aufgefallen ?? Denkt mal darüber nach .... |
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