Historie
Wir beginnen mit der Aufdröselung dieses Themas im Jahre 1953. Nach der Veröffentlichung von Peter Pan und 16 Jahren Zusammenarbeit beschloss Disney auf Grund von diversen Meinungsdifferenzen, mit seinem Distributionspartner RKO zu brechen. Hauptstreitobjekt war das True-Life Adventure The Living Desert (Die Wüste lebt), der in eben dem Jahr herauskam und von RKO derart negativ kritisiert wurde, dass diese sogar ablehnten, den Film zu vertreiben. Walt Disney wollte daraufhin Vermarktung und Vertrieb seiner Werke wieder in die eigenen Hände nehmen und gründete dafür die Buena Vista Film Distribution Company, Inc. (BVDC). Im Feature-Bereich war für RKO nach Rob Roy, the Highland Rogue im Februar 1954 Schluss. Da der Vertrag (lt. Wikipedia) jedoch erst 1956 auslief, musste ein Kompromiss gefunden werden. So durften Cartoons weiterhin vom Noch-Partner in den Lichtspielhäusern auch außerhalb der USA gezeigt werden. Frei nach dem Motto "Not macht erfinderisch" vertrieb RKO eine Reihe von Cartoonzusammenstellungen, über die sie sozusagen frei verfügen konnten. Soweit ich es recherchieren konnte, kamen diese Filme alle 1953 in die nordamerikanischen Kinos, als Micky Maus ihren 25sten Geburtstag feierte. Über eine Verwendung in späteren Jahren konnte ich nichts finden, ebenso wie über detaillierte Inhalte. Den Indizien nach waren jeweils 6 Cartoons zu sehen, was einer Spielzeit von ca. 45 Minuten entspricht. Wenn man sie überhaupt als eigenständige Werke bezeichnen kann, so gelten diese Filme heute als verloren. Eine Ausnahme bildet dabei die Walt Disneys Academy Award Revue von 1937, welche von United Artists vertrieben wurde und hier noch gesondert zur Sprache kommen wird. Ohne Garantie auf Vollständigkeit und Richtigkeit habe ich versucht, die folgenden Plakate chronologisch zu ordnen, soweit Titel und Layout dies preisgeben konnten. |
Am Ende erledigte sich die RKO-Misere von selbst, da die goldene Ära der Cartoons Ende der 50er Jahre eh zu Ende ging. Disney fuhr seine Cartoonproduktion aus Kosten- und Konkurrenzgründen (Warner, MGM, UPA) fürs Kino drastisch herunter und fokussierte seine Ambitionen aufs neue Medium TV, wo der Backkatalog von Micky, Donald & Co. zu ganz neuen Ehren kam. An einer Weiterführung von kinematischen Cartoon-Zusammenstellungen war der Konzern im eigenen Land entsprechen nicht interessiert. Anders dagegen sah die Sache im Ausland aus. Speziell in Europa, wo durch den Zweiten Weltkrieg dem Publikum das Werk Disneys (je nach politischer Lage) mehr oder weniger vorenthalten wurde, nahm man Micky & Co. erneut oder erstmalig begeistert auf. |
Disney in Deutschland
Nach einer Sondervorstellung für geladene Gäste war Die Geisterstunde (The Skeleton Dance) der erste in Deutschland gezeigte Disney-Cartoon. Er wurde im Mai 1930 im Essener Schauburg Kino am Viehofer Platz als Vorfilm zum deutschen Kriminalfilm Der Tiger gezeigt. Im Sommer des selben Jahres konnte man in der Essener Lichtburg zu Mutter Krauses Fahrt ins Glück den Cartoon Im Tiervarieté (The Opry House) bewundern. Weitere Filme waren u.a. Der kleine Faun (Playful Pan) und Micky, der fidele Bauer (The Plow Boy). Der Begriff "Silly-Micky", der einen Silly Symphony Cartoon betitelte, etablierte sich und wurde sogar in Österreich für dortige Cartoon-Zusammenstellungen weiter verwendet. |
Dass
Micky Maus in Deutschland (ab '38 Deutschland-Österreich)
äußerst beliebt war, zeigt sich am besten daran, dass über die
Machtübernahme Hitlers 1933 hinaus noch Cartoons von ihr gezeigt wurden, als die
Anti-USA Propaganda bereits begonnen hatte. Die Resonanz von Publikum
und Filmkritik war einfach zu groß und selbst die deutsche Führung
bezeichnete das Schaffen Disneys zunächst als hohe Filmkunst (und tat
es später im Stillen weiterhin). Die deutschen
Filmgesellschaften versuchten daraufhin ihrerseits, die Beliebtheit der
Film-Vorprogramme auszunutzen, um ihre eigenen Produktionen an den Mann zu
bringen ... was jedoch, meist aufgrund der minderen Qualität, auf
heftige Kritik beim Publikum stieß. Hier und da gab es auch zu jener
Zeit schon Kompilationen, einige von Disney entworfen, andere vielleicht
auch ohne dessen Absegnung zusammengestellt. Diese sollen hier jedoch
nicht das Thema sein. Zum einen gibt es genügend Literatur, die sich
damit weitaus fundierter auseinander setzt, zum anderen ist jene Zeit
synchrontechnisch für dieses Thema irrelevant - vielleicht befasse ich
mich damit einmal an
anderer Stelle. |
Wir schwenken unseren Blick nun kurz auf Frankreich, das man aus damaliger Sicht neben Deutschland wohl als das lukrativste Absatzland von Disney-Filmen bezeichnen darf. So waren die Franzosen die ersten, welche in Europa das Schneewittchen, zumindest in einer synchronisierten Fassung, bewundern durften: am 6. Mai 1938. Nur die Briten waren schneller (24. Februar), weil hier natürlich das unbearbeitete US-Original gezeigt werden konnte. Nach dem deutschen Westfeldzug und dem Waffenstillstand zwischen Deutschland und Frankreich am 22. Juni 1940 wurde das Land in eine besetzte und unbesetzte Zone aufgeteilt. In letzterer war das Schneewittchen sogar noch bis 1942 zu sehen (lt. alostfilm.com im September '42 in Toulouse). Zu einer Aufführung von Pinocchio und weiteren Filmen kam es jedoch erst nach dem Krieg.
Im März und April 1940 wurde von RKO der Kompilationsfilm La Grande Parade de Walt Disney in Frankreich aufgeführt. chroniquedisney.fr führt in seiner Filmliste zwei weitere Disney-Kompilationen auf, L'Heure Joyeuse de Mickey (1934) sowie La Revue Mickey (1937), die dem Namen nach verdächtig nach zwei Kompilationen aus Österreich klingen. Die Seite beschreibt die Grande Parade jedoch als erste Kompilation, die nicht in den USA gezeigt und allein für den französischen Markt konzipiert wurde. Dort zu sehen waren folgende 6 Cartoons, die 1940 wohlgemerkt erst ein oder zwei Jahre alt gewesen waren: -
The Brave Little Tailor |
Nach dem Ende des Krieges mussten ausländische Filmwerke, insbesondere jene aus den Siegerländern, aus verständlichen Gründen erst einmal wieder eine Akzeptanz beim deutschen Publikum finden, ganz zu Schweigen von der Etablierung einer gefestigten Synchronlandschaft. Schneewittchen erlebte 1948 in Österreich seine deutschsprachige Premiere, in Deutschland selbst dauerte dies bis 1950. Als erster Realfilm erlebte Die Schatzinsel 1951 hierzulande eine Aufführung. Den Umständen entsprechend waren die Filme teils ansehnliche Erfolge, teils aber auch nicht sonderlich lukrativ. Pinocchio verschwand recht früh wieder aus den Lichtspielhäusern; ein totaler Reinfall war Fantasia. Melody Time wurde, obwohl schon durchsynchronisiert, gar nicht erst aufgeführt. Es zeigte sich jedoch schon recht früh, dass die Liebe zu Micky Maus über alle politischen Wirrungen hinaus ungebrochen geblieben war. Dies nutzte natürlich nun RKO aus, die in den 50ern ihre selbstproduzierten Filmwerke mit Disney-Cartoons unterfütterte und mit Werbeanschlägen auch lautstark kund tat - solange sie noch das Recht dazu hatte.
Im Februar 1952 gelangte das RKO-Werk Kongo - Flammende Wildnis (orig.: Savage Splendor) in die deutschen Kinos. Auf Grund der kurzen Laufzeit von 60 Minuten streckte RKO die Vorführung mit einer Abwandlung der französischen La Grande Parade von 1940 und übersetzte sie als Walt Disney's Grosse Parade. Es war der erste in Deutschland gezeigte Kompilationsfilm und mit großer Wahrscheinlichkeit auch das erste Mal, dass zumindest von der RKO verdeutschte Cartoons auf der Leinwand zu sehen gewesen waren. Der Inhalt:
- Micky und der
Riese
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The Brave Little Tailor Nähere Informationen über die deutsche Bearbeitung sind hier zu finden. |
Hier noch eine kleine Anekdote. Es existieren Aushangsfotos zur Parade, auf denen Szenen aus Beach Picnic zu sehen sind. Nicht allein, dass dieser Cartoon gar nicht im Film vorkam, der Titel Walt Disney's Grosse Parade wurde auf dem rechten Bild mit einem Aufkleber zu Walt Disney's Die Grosse Parade umbenannt. Was für eine kuriose Story hier nun dahinter steckt, haben die Wellen der Zeit fortgespült.
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Nach und nach zeichnete sich für RKO (hiesiger Standort: Frankfurt) auch in Deutschland das Ende der Distributions- und auch Synchronzeit ab. Da sich Disney selbst jedoch auch nicht "vor Ort" um den Verleih kümmern konnte und die großen Filmgesellschaften durch alliierte Maßnahmen vorerst noch handlungsunfähig waren, war guter Rat teuer. Zunächst ging Disney ab 1954 in Partnerschaft mit der Münchner Herzog Film. Als 1956 die Bavaria und UFA langsam ihre Geschäfte wieder aufnehmen konnten, plante man den Schwenk zur UFA, einerseits, weil Herzog Film ihrerseits durch Distribution der UFA-Filme quasi zur Tochterfirma mutierte, zum anderen, weil UFA ihren Standort nach Berlin erweiterte und Disney vermutlich lieber von dort aus operieren wollte als von München. Letzten Endes war auch diese Korporation nur von kurzer Dauer. Disney übergab das Zepter ab 1957 an die britische J. Arthur Rank Film, die bereits im Februar 1950 in Hamburg eine Niederlassung errichtete, damals noch als hauseigene Tochterfirma Eagle-Lion-Film. Rank übernahm auch den Filmverleih in anderen europäischen Ländern und konnte durch das hauseigene Platten-Label Top Rank die Vermarktung der Disney-Soundtracks entsprechend flächendeckend abwickeln. Da Rank ab 1956 zudem auf den Patentrechten der Xerox-Fotokopiertechnik saß, die Disney später in seinen Filmen verwenden sollte, schlug man durch die Zusammenarbeit gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. Dass J. Arthur Rank in den 40ern einst das Animationsgenie David Hand feindlich abwarb, um ein nie wirklich realisiertes, britisches Cartoonimperium aufzubauen, war inzwischen Schnee von gestern. |