Der Hula Song
auf der Suche nach pazifischer Kriegslist

 

Jeder große Disney-Film hat irgendwo seine Rosa-Elefanten-Szene. In König der Löwen ist diese gerade mal 16 Sekunden lang. Vollkommen abseits jeglicher Authentizität schmeißt sich Timon plötzlich in einen feschen Hawaii-Fummel und lenkt die Hyänen mit seinem legendären Hula-Tanz ab. Ähh ja nee, ist klar!! Das heißt, nee, ist nicht klar. Was hat die Künstler in Burbank denn bitte schön DA geritten? Und was ist das für ein Song?

Nun, so ganz ohne Bezug hat Disney noch nie irgendwelche Musik in seine Kreationen eingebettet. Was Timon hier trällert, ist in den USA allgemein bekannt als der Hawaiian War Chant (üb.: Hawaiianischer Kriegsgesang), eine Nummer, die in den 30er Jahren als kleiner Swing-Standard aufkam. Tommy Dorsey und seine Band landeten damit 1938 einen ganz passablen Hit. Für die Melodie gab sich Johnny Noble als Verfasser aus, den Text dazu schrieb Ralph Freed. Dies war der Bruder von Arthur Freed, dem Produzenten der bekanntesten Musical-Verfilmungen Hollywoods, angefangen mit The Wizard of Oz (mit Judy Garland) bis zu Singin' in the Rain. Zum gleichnamigen Gene Kelly-Song verfasste Arthur Freed einst den Text. Aber das nur nebenbei. Ulknudel-Bandleader Spike Jones (The Führer's Face) verkasperte den Song 1946. Auch in den 50ern geriet der Hawaiian War Chant nicht in Vergessenheit, denn es begab sich zu jener Zeit, dass Urlaub auf der Hawaiianischen Inselkette total in Mode kam. Dies geriet ab 1959 bis weit in die 60er Jahre zu einem regelrechten Boom, als Hawaii offiziell zum 50. Bundesstaat der USA erklärt wurde. Von Hula-Mädchen in Baströckchen, Blumenketten, Kokosnuss-Drinks, der typisch leiernden Slack-Key-Gitarre bis in die Architektur hinein entstand eine regelrechte (und leidige) Popkultur, die unter dem Namen Tiki-Style bekannt wurde. Walt Disney eröffnete am 23. Juni 1963 in Disneyland den Enchanted Tiki Room (Bild rechts), in dem jener War Chant zum festen Bestandteil der Attraktion gehörte. Unlängst hatten Größen wie Pérez Prado (der Originalinterpret von Mambo #5) oder die große Ella Fitzgerald das Kleinod in ihr Repertoire aufgenommen. Über die Jahrzehnte wurde an Text und Melodie freilich immer wieder herum gebastelt; eine "Standard-Version" hat es eigentlich nie gegeben.

- Hörproben:
- Eine
noch recht "authentische" Version der Ames Brothers (1951):
- Und hier Spike Jones
(1946) - klingt doch schon sehr nach Disney! :

- Songtext:
There's a sunny little, funny little melody
it was started by a native down in Waikiki
he would gather a crowd down beside the sea
and they'd play his gay Hawaiian Chant

Soon the other little natives started singing it
and the hula hula maidens starting swinging it
like a tropical storm, that's the way it hit
funny little gay Hawaiian chant

Au we ta huala
au we ta huala

Though it started on an island down Hawaii way
it's as popular in Tennessee or Ioway
if you wander into any cabaret
you will hear this gay Hawaiian chant

Au we ta huala
au we ta huala

Die Tiki-Welle wurde spätestens in den 70er Jahren absolut trivial und verschwand wieder, abgesehen von ein paar kleinen Revivals hier und da. Ihre Spuren hat die Ära jedoch bis heute in den Köpfen der Amis hinterlassen. Einen Urlaub auf Hawaii zu verbringen ist quasi gleichzusetzen mit dem westeuropäischen Wunsch, nach der Hochzeit ins italienische Venedig zu flittern. Nur mit dem Unterschied, dass Venedig beispielsweise von Köln aus 1000km entfernt liegt, Hawaii allein "nur" von San Francisco aus rund 4000km! Hier mal eine popkulturelle Auswahl aus einem mir recht vertrauten Bereich:


(die Muppets verwendeten den Hawaiian War Chant 1979, als Sylvester Stallone zu Gast war)

Was hat es aber nun mit diesem ominösen Krieg auf sich? Die Antwort: Auf Hawaii gab es bis Ende der 30er Jahre nie einen Krieg und wenn, dann wurde er höchstens von den Einheimischen geführt, um ihre Kultur vor der ständigen Flut der Touristen zu bewahren. Die Sache war eine freie Erfindung von Ralph Freed, der dem ohnehin banalen Song textlich ein wenig Pep geben wollte. Der Hawaiianische Krieg ist somit genau so ein Käse wie der King of Borneo. Einen König hat es auf Hawaii indes sehr wohl gegeben, vielmehr eine Königin. Ihr Name war Liliʻuokalani. Ihr Amtsantritt 1891 war jedoch lediglich formeller Natur, da die USA ihren Fuß damals schon sehr weit in der Tür hatten. Nach einigen politischen Unruhen und Inhaftierung der Regentin dankte diese bereits 1895 wieder ab; drei Jahre später wurden die Inseln offiziell annektiert und die Amis errichteten dort ihren später tragisch-berühmt gewordenen Stützpunkt Pearl Harbor. Wenn man etwas als Krieg bezeichnen darf, dann wohl das, was hier am 7. Dezember 1941 passierte. Nur hatten die Hawaiianer damit nun gar nichts zu tun.

"Herrgott, ja, nun komm mal zum Punkt, Edi." Ok ok! Liliʻuokalani war neben ihrem Amt als Königin auch Komponistin und schrieb über 100 Lieder, darunter die wohl bekannteste Hawaii-Klischee-Schmonzette Aloha 'Oe. Das Musizieren lag der Familie anscheinend im blauen Blut, denn auch ihr jüngster Bruder, Prinz William Pitt Leleiohoku II, war ein begnadeter Verfasser von eingängigen Liedern. Eines davon war die Liebesballade Kāua I Ka Huahuaʻi (geschrieben um 1860), die in ihrer ursprünglichen Form 1911 vom Crowel Glee Club eingespielt und von Columbia Records auf Schellack gepresst wurde, auf dass sie Johnny Noble in irgend einem verstaubten Plattenschrank finden sollte, um daraus 27 Jahre später den Hawaiian War Chant zu kreieren ... der Dieb, der freche! Das ist ein längerer Zeitraum, als Prinz Leleiohoku ihn jemals erlebte. Er starb bereits mit 23 an einem rheumatischen Fieber, das ihm eine Infektion eingebrockt hatte. Soviel zum Thema Traumparadies Hawaii.

Auf YouTube kann man sich den Song in den unterschiedlichsten Fassungen anhören. Besonders gefallen hat mir eine Version von Sandi Griffiths und Sally Flynn, ein Damenduett, das drüben in den 60er Jahren recht bekannt war und u.a. auch in Disneyland auftrat ... hmm, mit welchem Song wohl? <hier klicken>
Und wer jetzt noch nicht genug hat, der kann sich einen Timon-Marathon-Zusammenschnitt von insgesamt 36 Synchronfassungen rein ziehen.
<hier klicken>

Schade nur, dass Ralph Freeds Bruder Arthur nicht direkt etwas mit dem Klassiker Somewhere over the Rainbow zu tun gehabt hatte. Das wäre doch ein perfekter Schluss für diesen Artikel gewesen. Als nämlich der Hawaiianer Israel Kamakawiwoʻole 1993 den Evergreen mit seiner Ukulele coverte, war das wie die späte Rache an die ....

ALTER, JETZT REICHT'S ABER MAL...

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