The
Phony King of England
Das Geheimnis eines Disney-Songs
Disneys Robin Hood ist schon ein absonderlicher Film. Einige Kritiker bezeichneten ihn als den Tiefpunkt in Disneys Schaffen überhaupt, für die Fans ist es gerade der Witz und Charme der Figuren und Sprecher, die diesen Film zu einem ihrer Favoriten macht. Der Konzern hatte nicht sehr viel Budget für Robin Hood ausgelegt, was jedoch - wir reden über die Siebziger Jahre - zu dieser Zeit eine fast schon zur gängigen Regel geworden war. Natürlich, das nur nebenbei, ist die Qualität von Disneys 21. Meisterwerk im Vergleich zu anderen Produktionen jener "Epoche" immer noch hervorragend. Siehe in Anistory Ali Cats und der fliegende Professor (Toei 1971), Tom, Crosby und die Mäusebrigade (Nippon Herald 1974) oder das Picha-Werk Schade des Dschungels (1975), um nur ein paar erschreckende Beispiele zu nennen. Kinoproduktionen durften in den 70ern, so muss man es wohl sagen, auf eine gewisse Art "billig" sein. Wieso weshalb warum - das steht hier gar nicht zur Debatte. Warum nun stürtz(t)en sich die Kritiker gerade so auf Robin Hood? Mit Sicherheit lag es vor allem auch an dem eigenen Raubbau, den Disney hier an sich selbst beging. Schon der weniger versierte Disneyfan erkannte hier viele Szenen aus anderen Meisterwerken wieder, die 1:1 übernommen wurden. Ein gutes Beispiel ist da die Schlange Sir Hiss und ihr Talent für Hypnose - leicht wieder zu finden in Disneys Dschungelbuch von 1967.
Das hauseigene Recycling gipfelte in einer Waldszene, wo sich die königstreuen Rebellen zu einem lustigen Schwof um Mitternacht treffen. Als Little John das stimmungsvolle Lied The Phony King of England (Königsclown von England) zum Besten gibt, tanzt und singt die Meute fröhlich bis zum Morgengrauen. Während nun Robin Hood und Maid Marians Tanzstil sowie die Kapelle aus Katze, Hase und Schweinchen ganz klar aus Aristocats gemopst wurden, wurden weitere Bewegungen ebenso eindeutig dem Klassiker Schneewittchen entnommen.
Nun hatte Disney auch anderswo schon bestimmte Bewegungsabläufe aus früheren Werken übernommen; ich erinnere nur an Flo und die Begrüßung der Hunde (Die Hexe und der Zauberer - 1963), welche eine frappierende Ähnlichkeit zur späteren Mogli-Wolf Liebkosung im Dschungelbuch aufweist. Jedoch sticht keine Szenengleichheit so sehr ins Auge wie der Tanz vom Bären Little John und der Henne Lady Kluck, da ein gewisser anderer Bär namens Balu mit einem zu Lady Kluck proportional sehr stimmigen King Louie die gleiche fesche Sohle auf's Parkett legte. War dies wirklich nur das Ergebnis eines kostenreduzierten Produktionsverfahrens? Während einer gänzlich anderen Recherche
bin ich durch Zufall auf etwas gestoßen, das diese Waldszene in einem ganz neuen Licht
erscheinen lässt. Ursache war eben jenes Lied, das dort zu hören ist. Als ich vor zwei
Jahren die Songtexte zu Robin Hood zusammen suchte, fand ich zwar stets als Textverfasser John H. Mercer angegeben, über den Komponisten
vom "Königsclown" schwiegen sich jedoch die meisten aus. Ein paar Wenige
benannten Roger Miller als Urheber - doch das stimmt nicht. Eine etwas
fundiertere Quelle gab das Stück selbst als Traditional an, also einem Song, besser
gesagt einem zünftigen Pub-Song vergangener Zeit, dessen Verfasser unbekannt ist. Eine
Stunde längeren Forschens (ich bin da hartnäckig) ließ mich bald meinen Augen nicht
mehr trauen. Der Text zu The Bastard King of England,
oder The Barsted King of England, so die
altenglische Bezeichnung, wird keinem Geringeren als Rudyard Kipling
(1865 - 1936) zugeschrieben, dem Autor des 1894 herausgebrachten Dschungelbuches, welches
Disney 73 Jahre später verfilmte. Eine nette Anekdote besagt, dass Kipling durch das
Verfassen dieses Textes seine Ritterschaft als Poet Laureate (königlicher Hofdichter)
aberkannt wurde - von Ihro Gnaden Victoria höchstersönlich. Obwohl in dem Lied mit der
Queen of Spain wohl eher Isabella I von Spanien gemeint war, die zu Zeiten Christopher
Kolumbus auf dem Thron saß, war es doch schon ein ziemlicher Fauxpas, die Urahnin der
damals regierenden Isabella II so zu verhöhnen ... von der Altverwandschaft Victorias mal
ganz zu schweigen. The Barsted King of England Oh, the minstrels sing of an English
King of many long years ago Chorus : Oh, the Queen of Spain was an amorous
Jane, a lascivious wench was she Now, the King he had a rival bold
whose name was Philip of France When the news of this foul deed was
heard within the royal halls Well, the Queen grew very wary when
she next saw Philip of France They had a royal wedding - all his
subjects wished him well
Aber hier endet die Geschichte noch lange nicht, nö jetzt wird's erst richtig kurios! Wiederum zufällig stieß ich auf eine weitere Version des Songs, diesmal von Frank Crumit (1889 - 1943), der in den USA der 20er bis 30er Jahre zu den erfolgreichsten Radio-Stars seiner Zeit gehörte. Sein größter Hit hieß A Gay Caballero, den Disney übrigens in Donald Ducks erstem Solocartoon Don Donald als Opener verwendete - doch auch dies nur nebenbei. Weitaus interessanter ist ein anderer Hit von ihm, genannt The King of Borneo. Hören wir auch hier einmal kurz rein : Mal abgesehen davon, dass in dem Song eine gute Handvoll US-Folksongs musikalisch durch den Kakao gezogen werden, ist die Verwandtschaft zu oben erwähntem Stück nun wirklich nicht zu leugnen. Warum hier ein fiktiver König der früheren Sultanei Borneo als Aufhänger genommen wurde, entzieht sich verständlicherweise meiner Kenntnis. Mit Kipling selbst wird es wohl nichts zu tun gehabt haben. Dieser wurde in Bombay, Indien geboren, während die Insel Borneo im malaiisisch-indonesischen Hoheitsgebiet liegt. Gut, Borneo war auch mal britische, zum Teil auch holländische Kolonie, aber auch das muss ja nichts heißen. Jedenfalls hat es dort vor 1000 Jahren (so der Text) keinen König gegeben. Die Frage ist also : Wer ist der KÖNIG VON BORNEO? Eine ganz einfache Frage, die jeder Einwohner des dreifachen Inselstaates ohne zu Überlegen beantworten wird : es ist der Orang-Utan, der nur dort beheimatet ist. Weiß schon jemand, worauf ich eigentlich hinaus will?
Etwas, dass man Disneys Dschungelbuch ständig ankreidete, war das Auftreten King Louis, der als Orang-Utan in Indien eigentlich nichts zu schaffen hatte. Dazu kam noch die bis heute nicht verklungene These, der King of Swingers sei eher ein King of Swing und damit eine afro-amerikanische Stereotype. Aus Kiplings Originalvorlage stammte Brüderchen Louie jedenfalls nicht. Was liegt also näher, als den Song, um den es hier die ganze Zeit geht, als Ideenlieferant in Erwägung zu ziehen. Und um diese kuriose Geschichte langsam mal zum Abschluss zu bringen, hier nun noch einmal der Vergleich der so fraglichen Szenen : Es ist kein Geheimnis, dass der ursprünglich geplante Soundtrack für's Dschungelbuch (aus der Feder von Terry Gilkyson) bis auf Probier's mal mit Gemütlichkeit zugunsten der Sherman Brüder unter den Tisch fiel. Kann es sein, dass auch der auf Kipling bezogene Song in der Dschungelbuch-Produktion vielleicht sogar in die engere Wahl kam und erst später durch I wan'na be like you (Ich wäre gern wie Du) von den Shermans ersetzt wurde? Vielleicht war die optisch übernommene Tanzszene in Robin Hood dann das Nachhängen einer von Walt Disneys letzten Ideen? Weit hergeholt, sicherlich .... aber wer weiß es schon wirklich ???? |