Interview mit Ingrid Mahlberg
Ingrid Mahlberg, seit
2001 nach Frank Lenart und Nikki Rabanus dritter Leiter der vierköpfigen deutschen
Synchronabteilung von Disney Character Voices,
international, obliegt die Überwachung, den
Filmen Disneys eine qualitativ ansprechende und gleichzeitig marktwirtschaftlich
vertretbare deutsche Synchronisation zu verleihen. Dazu gehört neben der
Schnittstellentätigkeit zwischen Disney/BV und dem jeweiligen Synchronstudio auch die
Sichtung neuerer Dialogbücher sowie das Prüfen alter Klassiker nach aktuellen Kriterien
und Gesichtspunkten. Saskia Asmus wollte es genau wissen und traf sich mit der Münchner
Germanistik-Expertin.
Asmus: Beschreiben Sie bitte Ihre Arbeit
und die Arbeit von DCV-I.
Ich bin Creative Director von Disney Character Voices International (DCV-I) und bin dort
Leiterin der Synchronabteilung. Inklusive mir arbeiten insgesamt 4 Leute bei DCV-I. Wir
sind keine eingetragene Firma, sondern gehören zur Disney Company als Department of
Disney Studios. DCV-I wurde Ende 1989 gegründet, um sicherzustellen, dass das Wesen der
amerikanischen Figuren auch in der deutschen Synchronisation erhalten bleibt. Wir sind
eine Art Kontrollinstanz. Wir arbeiten zusammen mit Synchronfirmen und der Disney Company,
um beispielsweise Stimmen für einen Film zu casten, die passend zum Original sind. Wir
sorgen dafür, dass die Stimmen zur Figur passen. Aber wir arbeiten nicht nur für
Kinofilme. Eigentlich haben wir mit jedem Disneyprodukt zu tun, das deutschsprachigen
Audio Content enthält und verkauft werden soll. Von einer sprechenden Micky Maus Figur
aus Plüsch bis zum Kinofilm.
Asmus: Wie genau kann man sich Ihre Arbeit
vorstellen?
Jede Figur, ob Film oder Serie, hat eine bestimmte Art zu sprechen. Beispielsweise sagt
Micky immer "Oh boy!" im Original. Das wollen wir natürlich beibehalten und
übersetzen das mit "Oh Junge!". Es gibt eben bestimmte Floskeln und Phrasen,
die von den Figuren immer wieder verwendet werden. Das soll auch bei der deutschen Figur
so sein. Aber es geht auch um stimmliche Ähnlichkeit zum Original oder besser gesagt,
dass Stimme und Figur 100%ig passen. Disney ist eine weltweite Marke und diese Marke muss
anhand der sprechenden Figuren überall auf der Welt zu erkennen sein. Wir sind für den
deutschsprachigen Bereich zuständig. Außerdem sichte ich Filme, die neu auf dem Markt
erscheinen und eventuell bearbeitet werden müssen.
Asmus: Was passiert mit alten Filmen, die neu
auf den Markt gebracht werden sollen?
Grundsätzlich ist es so, dass unsere Filme so circa alle 10 Jahre neu erscheinen.
Innerhalb dieser Zeit kann sich natürlich einiges ändern. Bevor jedoch der Relaunch
erfolgt, prüfen wir, ob die bis dahin aktuelle Fassung noch adäquat ist. Das bedeutet,
ein Film aus den 50er Jahren mit einer Synchronisation aus den 50ern kann heute ganz
anders verstanden werden. Es gibt vielleicht einige Äußerungen, die nicht mehr der
heutigen Zeit und dem heutigen Sprachgebrauch angepasst sind. Am wichtigsten bei diesen
Klassikern ist, dass sie in einem anderen Tonformat aufgenommen wurden, als es heute
Standard ist. Da ist es manchmal
sehr schwierig diese Filme auf 5.1 "aufzublasen", wie man so schön sagt. Die
Tonqualität spielt eine sehr große Rolle bei einer Entscheidung, ob der vorliegende Film
eventuell neu synchronisiert werden muss. Glücklicherweise kann man heutzutage technisch
die Filme so bearbeiten, dass man bestimmte Störgeräusche herausfiltern kann.
Asmus: Welche Kriterien müssen denn vorliegen,
damit ein Filmklassiker von Disney neu synchronisiert wird?
Die Gesamtsumme ist hierbei entscheidend. Die höchste Priorität hat immer noch die alte
Fassung. Wir versuchen in jedem Fall den Film und die Synchronisation zu erhalten. Nur im
Notfall müssen wir uns dann zur Neusynchronisation entschließen. Wenn sich, wie gesagt,
die Tonqualität in einem sehr schlechten Zustand befindet und diese nicht verbessert
werden kann, ist das schon mal ein Argument für Neusynchronisation. Aber das alleine
reicht nicht. Es spielen auch rechtliche Fragen eine Rolle. Gerade bei sehr alten Filmen
gibt es Probleme, wer die momentanen Rechte an der Synchronisation besitzt.
Archivierungsprobleme kommen ebenfalls hinzu. Es geht jedoch auch um die Inhalte der
jeweiligen Synchronisationen, die auf dem Prüfstand stehen. Hierbei achten wir besonders
auf politische Korrektheit. Keine Minderheit darf zum Beispiel diskriminiert werden. Das
kommt natürlich auf den Umfang der Äußerungen an. Wegen einem Wort oder einem Satz
werden wir keine Neusynchronisation in Auftrag geben. Vielleicht genügt es ja bereits nur
diese Äußerungen zu verändern, wenn der jeweilige Sprecher zur Verfügung steht .
Manchmal kann genau das zum Problem werden, denn viele Synchronsprecher der
Disneyklassiker sind bereits verstorben oder zu alt. Da kommt es wie gesagt auf den Umfang
an. In "Peter Pan" gibt es ein Lied, wo über Indianer gesungen wird. Der Inhalt
des Liedes ist aus heutiger Sicht vielleicht grenzwertig, aber damals war das völlig
okay. Aber ich achte beim Sichten der Filme auch darauf, ob die Fassung noch zeitgemäß
erscheint. Dabei werden verschiedene Kriterien berücksichtigt. Der Sprachwandel ist
wichtig. Bestimmte (Fremd)Wörter, die damals recht häufig gebraucht wurden, heute jedoch
nicht mehr. Oder auch Floskeln und Phrasen, die sich heute verändert haben. Wir versuchen
die aktuelle Fassung dann an den heutigen Sprachgebrauch anzupassen. Das geht natürlich
nur in gewissem Maße und sollte nicht übertrieben werden. Außerdem kommen immer wieder
Aspekte hinzu, die man damals nicht beachtet hat bzw. die damals vielleicht nicht wichtig
waren, heute aber nicht mehr so stehen lassen kann. Da meine ich vor allem politische bzw.
diskriminierende oder auch geschichtliche Inhalte. Bild und Ton müssen in erster Linie
passen. Wir können keinen Film komplett modernisieren, der in den 50er Jahren spielt.
Unsere Devise lautet jedoch: Wenn wir den Film schon neu machen müssen, dann können wir
ihn auch besser machen. Dazu hat man unterschiedliche Mittel zur Verfügung. Eine
teilweise Anpassung an die heutige Sprache, aber auch bekannte Sprecher von heute werden
gern benutzt. Durch die Verbreitung der DVD und die Möglichkeit den Film auch in der
Originalversion zu sehen, sollte man ebenfalls so nah wie möglich am Originalskript
arbeiten. Das ist uns bei Arielle aufgefallen. Die alte Fassung war mit Sicherheit gut,
aber wir wollten mit der neuen Fassung näher am Original sein. Sprachlich, als auch
stimmlich.
Asmus: Würden Sie
sagen, dass man in der heutigen Zeit eher versucht in den Synchronisationen eine Sprache
zu verwenden, die sich vorrangig an Kinder richtet?
Das kommt natürlich auf das Produkt an. Manche Disneyfilme sind ja überhaupt nicht für
Kinder geeignet. Die Filme, die ohne Altersbeschränkung freigegeben sind, da wollen wir
schon, dass Kinder die Filme verstehen und da gibt es vielleicht mehrere Äußerungen, die
man der kindgerechten Sprache anpasst. Den Kindern soll es Spaß machen, den Film zu
sehen. Es kann natürlich vorkommen, dass sich der Sinn des einen oder anderen Satzes den
Kindern entzieht, dafür aber die Eltern oder Erwachsenen auf ihre Kosten kommen. Aber
anders herum betrachtet, würden wir uns nicht für eine Neusynchronisation entscheiden,
nur
weil manche Äußerungen für Kinder nicht so leicht verständlich sind. "Peter
Pan" ist da wieder ein gutes Beispiel. Die Sprache von Wendy wirkt manchmal sehr
affektiert und so würde heute kein Kind mehr sprechen. Aber es passt zu dem zeitlichen
und räumlichen Gegebenheiten des Films sehr gut und daher behalten wir die alte
Synchronfassung bei. Außerdem haben wir bei den Neusynchronisationen heutzutage auch mal
die Möglichkeit bestimmte Worte zu verwenden, die damals als denkbar unmöglich galten.
Asmus: Die meisten animierten Filme von Disney
sind ohne Altersbeschränkung freigegeben. Gibt es manchmal Probleme, dieses Prüfsiegel
für alle Filme zu bekommen?
Wir haben den Anspruch an uns selbst, dass unsere animierten Filme ohne
Altersbeschränkung freigegeben werden. Wir möchten gewährleisten, dass Familien mit
mehreren Kindern unterschiedlichen Alters zusammen ins Kino gehen können. Kleinere Kinder
sollen hier nicht ausgeschlossen werden. Das funktioniert aber nicht immer. "Die
Monster AG" ist beispielsweise erst ab 6 Jahren freigegeben, da der Film wohl nach
Meinung der FSK die kindliche Phantasie zu sehr beflügelt und kleine Kinder Angst
bekommen könnten. Die deutschen Bestimmungen sind bei der FSK ziemlich streng. Obwohl ich
dazu sagen muss, dass diese Begutachtung der Filme durch die FSK nie objektiv bleibt. In
den Gremien sitzen immer wieder andere Leute, deren Empfinden sehr unterschiedlich sein
kann, was für kleine Kinder geeignet ist und was nicht. Es kam vor, dass einzelne Filme
geschnitten werden mussten, damit diese Filme das Prüfsiegel "Ohne
Altersbeschränkung" auch bekamen. Das nehmen wir dann in Kauf, da wir natürlich
auch mit Filmen ab FSK 0 ein breites Publikum haben und mit höheren Verkaufszahlen
rechnen können. Sprachlich gesehen gibt es dann auch verschiedene Möglichkeiten, den
Film in gewissen fragwürdigen oder brutalen Formulierungen abzuschwächen. Es passiert
auch oft, dass wir actionreiche Szenen in der Lautstärke runter pegeln und es somit für
die ganz kleinen Kinder nicht zu laut ist.
Asmus: Meine These
der Magisterarbeit lautet, dass neue Synchronisationen der Klassiker sich immer öfter an
Kinder richten als an Erwachsene. Würden Sie dem zustimmen?
Ja. Allein schon dadurch, dass wir eben versuchen, die Filme mit FSK 0 zu verkaufen und
wie gesagt auch inhaltlich bzw. sprachlich einiges verändern, das sich eher an Kinder
richtet. Wir bedienen heute einfach eine andere Sparte als noch vor 20 Jahren.
"Schneewittchen und die sieben Zwerge" zum Beispiel war damals bei Erscheinen
kein Kinderfilm. Der wurde nicht vorrangig für Kinder gemacht und das hört man auch in
der alten Synchronisation oder in der Originalfassung. Nicht die Kinder schauten sich
diesen Film im Kino an, sondern die Erwachsenen. Kinder konnten es sich nicht leisten ins
Kino zu gehen, die Erwachsenen schon eher. Außerdem wollten Erwachsene natürlich diesen
gezeichneten Film sehen, der in
Spielfilmlänge schon etwas Einzigartiges war. Erst später werden durch die
Synchronisationen, die sich verändert haben, eher Kinder angesprochen, als die
Erwachsenen. "Schneewittchen" ist, so wie die meisten Klassiker, ein sogenannter
Generationsfilm. Die Eltern kaufen ihn für die Kinder, weil sie ihn noch aus ihrer
Kindheit kennen.
Asmus: Aber ist es dann nicht eher enttäuschend
für die Eltern, weil die frühere Fassung, die sie als Kind so gemocht haben, nicht mehr
vorhanden ist?
Die Kindheit der Eltern spielte sich ja in einem anderen Umfeld ab, als für die heutigen
Kinder. Für die Kinder macht die neue Fassung keinen Unterschied. Die sehen den Film in
dieser Fassung zum ersten Mal. Die Eltern schauen sich den Film weniger selbst an und
daher fällt das auch nicht weiter ins Gewicht.
Asmus: Wer entscheidet letztendlich, ob ein Film
bei Disney neu synchronisiert wird?
Ich schlage, wenn es sein muss, eine Neusynchronisation aus den genannten Gründen vor.
Wenn ich davon überzeugt bin, dass wir wirklich eine Neusynchronisation brauchen, dann
würde ich das auch durchsetzen können. Aber ich entscheide nicht allein. Da gibt es
natürlich noch andere Leute, die da mitzureden haben.
Asmus: Mussten Sie als Leiterin schon einmal
eine Neusynchronisation in Auftrag geben?
Zum Glück noch nicht. Denn es gibt natürlich eingefleischte (erwachsene) Fans bestimmter
Disneyklassiker, die sich sehr dagegen sträuben, die neuen Fassungen anzunehmen.
Besonders großen Protest gab es bei Arielle. Aber zu dem Zeitpunkt habe ich noch nicht in
meiner jetzigen Position gearbeitet.
Durchgeführt von
Saskia Asmus am 13. Februar 2009 |