Animation World Magazine, Ausgabe 2.1, April 1997
von J.B. Kaufman


Who's Afraid of ASCAP ?
Populäre Songs in den Silly Symphonies

 

Musik und Animation, dieser potente Zusammenschluss dieser beiden Ausdrucksformen wurde von Walt Disney stets hochgehalten und perfektioniert. Angefangen vom Mickey Mouse Klassiker Steamboat Willie bishin zu den abendfüllenden Zeichentrickfilmen war die Musik nicht nur bloßer Hintergrund, sondern war meistens auch ein fester Bestandteil der Handlung. Am stärksten wurde dieses Konglomerat in den Silly Symphonies gefeiert. Von 1929 bis 1939 vereinte diese exquisite Animationsreihe Zeichenkunst mit einem reichen Aufgebot an Melodien, darunter Klassik- und Opernwerke, traditionelle Folkmusik und populäre Songs.

Carl StallingCarl Stalling (rechts), der eine wichtige Rolle bei der zeichnerischen Umsetzung der Silly Symphonies spielte, war ebenso federführend bei der Auswahl der klangvollen Untermalung. Bereits in frühen Jahren als Theaterorganist legte er ein erstaunliches Talent an den Tag, in Partituren originale Themen mit populären Songs zu verbinden. Dieses handwerkliche Geschick sollte ihn in späteren Jahren helfen, aus den Looney Tunes und Merrie Melodies der Schlesinger/Warner Bros. Studios wahre musikalische Leckerbissen zu zaubern. Der immense Musikkatalog der WB Music lieferte ihm dafür einen Fundus, der seine Kreativität über Jahre beschäftigte.

Disney allerdings hatte 1929 noch keinen eigenen Musikkatalog, und die Nutzung Copyright-geschützter Werke in seinen Filmen bedeutete erhebliche Nebenkosten durch Tantiemen zu einer Zeit, da Disneys Budget noch recht bescheiden war. Stalling und sein musikalischer Stellvertreter waren stets entmutigt beim Nutzen von solchen Liedern. In den frühen Mickey Mouse Cartoons wurden meist klassische Ohrwürmer oder traditionelle Folksongs ohne Tantiemenanspruch gespielt. Mickeys Erkennungssong Minnie's Yoo-Hoo schrieb Stalling selbst. Es wurde der erste Disney-eigene Song und ein großer Erfolg der Company. Die Silly Symphonies sollten dagegen musikalisch viel weiter gehen, ohne dabei den Geldbeutel zu belasten. Nur gelegentlich tauchten deshalb geschützte Songs in Disneyfilmen auf, wie z.B. Walter Donovans Aba Daba Honeymoon, das in
Monkey Melodies (1930) zu hören ist.

Wenn solche Musik in den Silly Symphonies genutzt wurde, dann sollte sie auch einen direkten optischen Bezug zur Handlung besitzen. Historiker Russell Merritt weist hier speziell auf den Cartoon
Just Dogs (1932) hin, der im Hof eines Hundefängers beginnt, voller eingesperrter und trauriger Tiere. Die Partitur dazu ist ein musikalischer Insider, denn sie beinhaltet Guy Masseys The Prisoner's Song, der 1924 ein großer Hit für Vernon Dalhart gewesen war. Um den Witz zu verstehen, wurde natürlich ein gewisser Anspruch an die Zuschauer gerichtet, die sich an den Titel zurück erinnern durften. Neben The Chain Gang (MM - 1930) wurde der Song 1935 in einem anderen SS, Music Land verwendet, als Prinz Saxophon den Brief an seinen Vater schreibt.

Natürlich war es eine feste Regel bei den Disney Komponisten, solche Melodien weitestgehend zu vermeiden. Und so fassten Stalling und Disney des Öfteren den Plan, Partituren zu entwerfen, die sich ganz nach populären Songs anhörten, ohne sie zu plagiatirren. Mit anderen Worten : sie "klauten". Diese Praktik endete auch nicht, nachdem Stalling 1930 die Disney Studios verließ. So wurde 1934 in der Baseball Sequenz von
The Tortoise and the Hare die Szenerie mit einer Melodie untermalt, die Disneys Stabsmusiker Frank Churchill komponierte. Das offiziell veröffentlichte Notenblatt dazu tituliert die Musik als Battin' the Balls around, aber sie lehnt sich äußerst stark an Albert Von Tilzer und Jack Norworths Take me out to the Ball Game. Dies war damals die gängige Art, mit etablierten Songs in Disney Cartoons umzugehen.

Der Erfolg von Who's Afraid of the Big Bad Wolf? startete eine Welle von Disney Eigenkompositionen für die Silly Symphonies.

Ein neues Konzept
Generell war dies sicherlich nicht der Weg, der zukünftig beigehalten werden sollte und durfte. Abgesehen von dem ständig drohenden Auge der
American Society of Composers ,Authors and Publishers, kurz ASCAP, genügte es dem ständig wachsenden Qualitätsanspruch des Firmenchefs im keiner Weise, auf Fremdkompositionen zurückgreifen zu müssen. Das Blatt wendete sich mit Frank Churchills Score zu Three Little Pigs (1933). Was lediglich als simpler Song in einem noch simpleren Cartoon konzipiert war, wurde ungeahnt zu einer optimistischen Hymne der gesamten Nation, die von der großen Depression befallen war. Who's afraid of the big bad Wolf ? entwickelte eine Eigenmacht, von der niemand im Stab je zu träumen gewagt hätte. Disney hatte seinen ersten musikalischen Hit. Bald schon erschien Who's afraid .. in Notenform, herausgegeben von der Irving Berlin Inc. und mit zusätzlichen Strophen von Ann Ronell ausgeschmückt. Ende 1933 gab es bereits ein Dutzend Aufnahmen des Songs, von diversen Plattenlabeln herausgebracht und mit halbgaren B-Seiten ergänzt. Die Tochterfirmen der Label brachten wiederum ihre Versionen auf den Markt, allein eine davon (Harry Reser and his Eskimos, Oktober 1933), wurde auf sieben verschiedenen Ausgaben verwendet.

Von diesem Erfolg überrascht, verstärkte Disney von nun an die Eigenkompositionen in den Silly Symphonies. Zwar wurden Songs und gesungene Dialoge lange vor
Three Little Pigs verwendet, doch mit der wachsenden Handwerklichkeit seiner Musik-Crew konnte nun auch ein klares Auge auf den Musikmarkt geworfen werden. Lullaby Land, produziert im Frühling und Sommer 1933, illustriert diesen Trend. Die Partitur zu diesem Cartoon wurde weitestgehend von Leigh Harline komponiert, doch Frank Churchill, beflügelt von Who's afraid .., steuerte das Titellied Lullaby Land of Nowhere bei. Das Stück half nicht nur, die Stimmung des Films zu unterstreichen, sondern entwickelte überdies hinaus eine gelungene Eigenständigkeit, die auch, ohne den SS zu sehen, gefallen konnte.

Die Story Entwicklung für einen weiteren Symphony,
Grasshopper and the Ants, begann im Herbst '33 als der Who's afraid.. Boom gerade seinen Höhepunkt erreichte. Zufall oder nicht, auf jeden Fall wurde für Song des Grashüpfers sehr viel Arbeit investiert. Seitenweise Vorschläge in den Disney Archiven beweisen das noch heute. Das Ergebnis war Leigh Harline und Larry Moreys The World owes me a Living, eine Nummer, die trotz seiner Ohrwurmqualität nicht den Erfolg des Schweinchenhits wiederholen konnte, als Grasshopper and the Ants im Frühjahr 1934 in die Kinos kam.

Der Grasshopper Song wurde dennoch ein kleiner Erfolg, wurde herausgegeben und aufgenommen. Jedoch gelang die wahre Beständigkeit des Stücks auf anderem Wege. Während der Alptraumsequenz in
Mickey's Garden (1935) drang die Melodie durch die Partitur, als Mickey von einem gigantischen Grashüpfer bedroht wird. Später im Jahr 1935 singt Goofy in On Ice das Lied zum ersten Mal. Die Relation liegt natürlich auf der Hand, da Goofys Stimme Pinto Colvig ebenso für die Synchron-Arbeit des Grashüpfers verantwortlich gewesen war. The World owes me a Living wurde so zu Goofys inoffiziellem Themensong, von African Diary, Tennis Raquet, Goofy Gymnastic bis Lion Down von 1950.

Die schlaue Henne (Stimme: Florence Gill) singt Leigh Harline und Larry Moreys Help me plant my Corn in The Wise Little Hen (1934).

Dann kam die Flut ...
Nach Grasshopper and the Ants wurde nahezu jeder Silly Symphony mit einem Original Song irgendeiner Art ausgestattet, geschrieben entweder von Churchill oder Harline. Die Hauptdarstellerin in
The Wise Little Hen sang Help me plant my Corn, die drei Schweinchen wiederholten Who's afraid .. in The Big Bad Wolf, während andere Lieder, wie See the funny little Bunnies in Funny Little Bunnies oder The Penguin is a very funny Creature in Peculiar Penguins, von Studio-Sängern eingespielt wurde. Es gab bald sogar schon erste Archiv-Songs, die zunächst mit Text geschrieben wurden, dann aber doch keine Verwendung fanden. So zum Beispiel Slow but sure, geschrieben von Churchill und Moreyarade für The Tortoise and the Hare, der in der endgültigen Version nur instrumental vorkam.

Trotz der steigenden Popularität der Melodien war es Disney stets wichtig gewesen, diese nur als Begleitmusik für den eigentlichen optischen Aspekt zu sehen und nicht umgekehrt die Silly Symphonies quasi als "Musikvideo" zur Werbung der Songs zu missbrauchen. Die Stücke halfen stets, die Gefühle und Handlungen der Figuren zu betonen und zu unterstreichen. In
The Flying Mouse war der Song You're nothin' but a Nothin' gerade mal 35 Sekunden während der Fledermaus-Szene zu hören, avancierte außerhalb des Studios dennoch zu einem beliebten Hit, der von vielen Dance-Bands aufgenommen und veröffentlicht wurde.

Die Reihe der populären Lieder wurde auch 1935 mit Bravour fortgeführt.
Dirty Bill in The Robber Kitten, The sweetest one of All in The Cookie Carnival, We're gonna get out of the Dumps in Broken Toys. Der Titelsong von Water Babies, ähnlich Slow but sure ein Jahr zuvor, wurde zunächst mit Gesang verfasst, dann aber nur instrumental verwendet. Einer der brillantesten Symphonies, Who Killed Cock Robin ?, beinhaltete verschiedene neue Songs. In einer Schlüsselsequenz singt Jenny Wren (eine Parodie auf Mae West) Churchills Somebody rubbed out my Robin, eine lustige wie dezente Andeutung an Mae Wests frivolen Lieder.

Studio Sänger sangen die Songs in diversen Silly Symphonies, wie Harline und Moreys The Penguin is a very funny Creature in Peculiar Penguins (1934).

Doch Ende 1935 ging der Einsatz originaler Songs in der Serie urplötzlich wieder zurück. Interessanterweise begann das Studio sogar wieder, auf Fremdkompositionen zurück zu greifen oder sie auch erneut zu verfremden. So spielen die drei Titelhelden in Three Orphan Kittens (1935) auf dem Piano Zez Confreys Kitten on the Keys. Das Insekten-Orchester in Woodland Café (1937) intoniert eine heiße Version von Ted Koehler und Rube Blooms Truckin', welches damals erst zwei Jahre alt gewesen ist. Der wohl signifikanteste Fall von "Ausleihen" einer Melodie ist in Cock o' the Walk (1935) zu hören. Dieser Kurzfilm wurde produziert, als Disney kurz davor war, für die Distribution seiner Cartoons von United Artists zu RKO Radio zu wechseln (1937). Die Hälfte der Zeit wird Cock o' the Walk begleitet von der Instrumentalversion des Hits The Carioca (Vincent Youmans / Gus Kahn / Edward Eliscu), der zwei Jahre zuvor im RKO Film Flying Down to Rio vorgestellt wurde.

Die Eigenständigkeit der Silly Symphonies wurde immer mehr zurückgeschraubt, und die markanten Eigenkompositionen verschwanden wieder. Alle Energie, auch die von Disneys Hauskomponisten,  wurde von 1936 an in die Produktion der abendfüllenden Trickfilme gesteckt. So verkamen die Symphonies zu Experimentalfilmen, in denen visuelle Effekte und vor allen Dingen die revolutionäre Multiplane-Kamera ausprobiert wurden (bestes Beispiel : The old Mill, 1937). Es muss wohl kaum erwähnt werden, dass die Kompositionen der Langfilme die Reihe der populären Disney-Songs erfolgreich weiterführten. Someday my Prince will come, Whistle while you work oder When you wish upon a Star wurden zu regelrechten Standards und mit jedem veröffentlichten Feature vergrößerte sich Disneys Back-Katalog zusehends. Doch die Silly Symphonies wiesen den Weg, musikalisch wie auch in jeglicher anderer Weise.

 

J.B. Kaufman ist ein unabhängiger Filmhistoriker, der bereits viele Schriften über die frühen Disney Animationsarbeiten verfasst hat.  Er ist Co-Autor, neben Russell Merritt, von Walt in Wonderland, ein zweites Buch über die Silly Symphonies wurde 1998 von La Cineteca del Friuli veröffentlicht.


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