Bananen-Politik
wie Disney einst versuchte, die Konkurrenz auszustechen

  

Die beiden Bilder zeigen zwei der drei weiblichen Hauptdarstellerinnen des Films Die Drei Caballeros, links Aurora Miranda, rechts Carmen Molino. Man merke sich bitte den Nachnamen der ersten und den Vornamen der zweiten Dame für später ....

Teil 1: Good Will - Ein kurzer historischer Rückblick

Wir schreiben das Jahr 1928. Etwa zu dieser Zeit änderte sich das Verhältnis zwischen den USA und Lateinamerika grundlegend. Mit politischen wie militärischen Interventionen in Mexiko, Haiti, Kuba u.a. Orten zeigten die Vereinigten Staaten vormals ihre Haltung zum gesamten Süden, den sie für "nicht selbstständig regierungsfähig" hielten. Unter dem Präsidenten Franklin D. Roosevelt, der die "Good Will" Idee seines Vorgängers Herbert Hoover übernahm, änderte sich dies. Die Beziehungen lockerten sich und hatten im Verlauf mehr und mehr wirtschaftliche denn rein politische Ziele im Fokus. Über die Jahre begegneten sich die Nachbarn somit immer mehr auf Augenhöhe, was letzten Endes auch einen kulturellen Austausch förderte. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verstärkte später sogar die Beziehungen. Wirtschaftlich war in Südamerika ein Absatzmarkt zu erschließen, der den Wegfall Europas kompensierte. Unterschwellig sollte jedoch auch eine Unterwanderung der um sich greifenden Kommunisten wie auch Nazis verhindert werden. Soviel zur Geschichte und das auch nur ganz grob umrissen. Der politische Aspekt soll hier natürlich nicht das Thema sein.

August 1940 gründete Roosevelt die OCIAA, frei übersetzt eine Organisation zur Koordination interamerikanischer Interessen, und setzte den schwerreichen Nelson Rockefeller an die Spitze dieser Gesellschaft. Deren Unterabteilung Motion Picture Division hatte zur Aufgabe, mit stereotypischen Darstellungen sowohl von Latein- wie auch US-Amerikanern in cineastischen Werken grundlegend aufzuräumen. Um dies zu erreichen, drängte Division-Chef John Hay Whitney die Filmstudios dazu, verstärkt Lateinamerikaner einzustellen und Filme zu produzieren, die den südlichen Kontinent in ein positives Licht rücken sollten.

Abgesehen von den Produktionen zweier Studios ist von diesen Maßnahmen filmhistorisch kaum noch etwas in Erinnerung geblieben. So hatte z.B. Orson Welles, der für die immense Pro-Süd-Politik von CBS-Radio die erfolgreiche Sendereihe Hello Americans (ab 1942) entwickelte, auch für RKO einen Episoden-Film mit dem Namen It's all true in Arbeit, der jedoch unvollendet blieb. Universal ging 1940 mit dem durchaus erwähnenswerten Streifen Argentine Nights ins Rennen. Es war der erste Film, in dem die Andrew Sisters auftraten. United Artists folgte 1941 mit Fiesta. Die durch Musicals erfolgsverwöhnten Studios von MGM ließen gar nicht erst von ihrer Masche ab; Rio Rita und Panama Hattie (beide 1942) nahmen nicht wirklich ernsthaft an der "Latino-Welle" teil. Columbia brachte The Thrill of Brazil erst 1946 heraus, als das Interesse an solchen Filmen langsam wieder abklang. Paramount band Road to Rio (1947) einfach in seine erfolgreiche Road-Reihe mit Bing Crosby, Bob Hope und Dorothy Lamour ein. Schlusslicht war Warner Bros. mit Romance on the High Seas (1948), zu dem ich später noch etwas sagen werde. Ob dieser Film überhaupt noch dazu gezählt werden kann, wage ich fast schon zu bezweifeln. Die Grenzen sind da sehr fließend.

Teil 2: The Lady with the Tutti-Frutti-Hat

Der äußerst weibliche Grund für dieses eher distanzierte Verhalten anderer Studios war bei 20th Century Fox zu finden: Carmen Miranda, geboren am 9. Februar 1909 als Maria do Carmo Miranda da Cunha im portugiesischen Marco de Canaveses. Ihre Eltern waren zu der Zeit bereits im Begriff, nach Brasilien zu immigrieren. Die aus Rio de Janeiro stammende Mutter wollte jedoch ihre zweite Tochter noch vor der Überfahrt zur Welt bringen. Der Vater benannte seinen neuen Spatz nach seiner Lieblingsoper Carmen und seine Liebe zur Musik färbte schnell auf sie und ihre fünf Geschwister ab. Nach ersten Versuchen, ins Showgeschäft einzusteigen, geriet Carmen an den Komponisten Josué de Barros, nahm 1929 ihre erste Platte auf und wurde ein Jahr später bei RCA unter Vertrag genommen. 1933 stieg sie ins Filmgeschäft ein und machte in einer Reihe von Musicals eine gute Figur. 1937 war sie bereits die bestbezahlte Radiosängerin Brasiliens. Der Schritt in die USA erfolgte 1939 durch das Broadway-Stück The Streets of Paris, in dem sie zwar nur eine kleine Rolle inne hatte, diese jedoch das Einzige war, was die Presse positiv lobte. Mehr als das, meinte ein Kritiker gar, Miranda würde durch ihr Auftreten die Ticketverkäufe am Broadway retten, welche durch die anlaufende New Yorker Weltausstellung stark zu sinken drohten. Bald schon saß sie im Weißen Haus zusammen mit Franklin D. Roosevelt an einem Tisch. Ein Vertrag mit der Fox für 5 Jahre war daraufhin nur noch Formsache. Roosevelt hatte sein Propaganda-Mädel gefunden. Carmen Miranda stieg innerhalb kürzester Zeit zum Superstar auf; Filme wie Down Argentine Way (1940), That Night in Rio (1941), Week-End in Havana (1941) und als Höhepunkt The Gang's All Here (1943) waren dank ihrer Beteiligung reine Selbstläufer. Mit ihrem Gesangstalent, immer opulenter werdenden Kostümen und einem gehörigen Schuss Sex-Appeal begeisterte sie die Massen auf beiden Kontinenten. Eine wichtige Zutat dabei war die Hohezeit des Technicolor, in der Carmen mit ihren bunten Fummeln hinein passte wie der sprichwörtliche Topf auf den Deckel. Hinter dem ganzen Glanz und Glitter steckten aber auch eine natürliche Ausstrahlung und das komödiantische Schauspieltalent, mit dem sie am Ende zu überzeugen wusste.

Die Kritik zielte entsprechend auf ihre Image-Schale, war doch ihre Performance als Gesamtpaket ein reines Kunstprodukt. Kostüme, Maske, Gesang, Tanz, nichts an der "Brasilianischen  Sexbombe" war authentisch und führte die angedachte Politik der Motion Picture Division im Grunde ad absurdum. Ein zweiter zentraler Punkt war die Musik. Während die Samba in den USA als neue Stilrichtung positiv aufgenommen wurde, galt dieser Rhythmus bei konservativen Brasilianern immer noch als geschmacklos, ähnlich wie der Jazz rund 20 Jahre zuvor in den Staaten. Obendrauf drehte man die Songs nach und nach durch den "Fleischwolf" des US-Geschmacks. Als "Latino-Tussi" beleidigt, wandte sich Miranda 14 Jahre lang von ihrem Heimatland ab. Argentinien ging mit der Frau noch härter ins Gericht. Der Film Down Argentine Way wurde dort sogar verboten, weil (so die Kritik) eine portugiesische Immigrantin aus Brasilien eine Argentinierin wohl kaum adäquat darstellen kann. Zudem erweckte ihr "fruchtiges" Auftreten den Anschein, Argentinien wäre eher ein Tropenparadies als eine zerklüftete Berglandschaft. Ähnlich beleidigt waren Kubaner über Mirandas Darbietung in Week-End in Havana, der sogar Orson Welles Citizen Kane vom 1. Platz der US-Kinocharts schubsen konnte.

Ein dritter, etwas später aufkommender Kritikpunkt war die groteske Kommerzialisierung, die diese Kunstfigur mit sich brachte und den politischen Aspekt der Good Will Kampagne wie schon gesagt mehr und mehr determinierte. "Bananas are my Business" äußerte Miranda einst selbst und die Plastik-Früchte in ihren immer größer werdenden Hüten - sie war vor ihrer Gesangskarriere Hutmacherin - sprachen für sich. Vorbei die Zeiten des Bananenröckchens einer einstigen Josephine Baker, das noch Kontroversen auslösen konnte. Hier nun wurde Carmen als Werbeträger der United Fruit Company ausgenutzt, die ihrerseits ihr zweifelhaftes Image aufpolierte. Chiquitita Banana hieß dann auch der passende Song dazu; ein Markenbegriff, der heute noch seine Relevanz hat. Witzige Randnotiz: Die ganze Werbekampagne wurde angeleiert von einem gewissen Edward L. Bernays, in Wien geborener Neffe Sigmund Freuds und Impressario des Star-Tenors Enrico Caruso ... wenngleich er ihn nicht im Bauch eines Wales fand.


Das auf Carmens basierende, zeitlose Werbe-Maskottchen der U.F.C.

Unterm Strich waren die Fox-Filme allesamt genauso leicht konsumierbare Kost wie Bananen, was für viele Filme jener Zeit galt. Trotz eines Aufgebots an namhaften wie aufstrebenden Stars lockte stets Carmen die Kinogänger an die Kassen, obwohl sie mit ihren Musik-Nummern nie über die Rolle des lustigen Sidekicks hinaus kam. Das blieb noch weit in die 50er Jahre hinein so, bis die Dame selbst zum Anachronismus wurde, in etlichen TV-Shows nur noch ihrer goldenen Zeit nachtänzelte und in Filmen mehr und mehr zur Selbstparodie verkam. Mit Ende des Zweiten Weltkriegs waren Stars wie sie nicht mehr gefragt, der Film Noir wurde zur neuen, erfolgreichen Filmgattung. Fox schraubte die Produktionskosten herunter und drehte wieder in Schwarz-Weiß, was ihrer Karriere einen zusätzlichen Knick gab. Carmens letzten Jahre sind mit allen Übeln durchsetzt, die Stars hinter der Kamera passieren können, ohne hier jetzt ins Detail gehen zu wollen. Am 4. August 1955, inzwischen 46, verausgabte sie sich während eines Auftritts in der Jimmy Durante Show dermaßen, dass sie am selben Tag an einem Herzinfarkt starb. Während der Beisetzungsfeierlichkeiten in Rio de Janeiro säumten eine halbe Million von Schaulustigen und Fans die Straßen. Es war eine der größten Prozessionen, die Brasilien bis heute erlebte.

Carmen Miranda hielt einen weltweiten Einzug in die Popkultur. In etlichen Filmen und TV-Serien wurde sie zitiert und referenziert, die Liste reicht von Mickey Rooney, Jerry Lewis und The Three Stooges bis (natürlich) zu den Simpsons in den 90ern. Alleine die Warner Studios huldigten der Dame in ihren Cartoons ganze 8 mal. Hier nur eine kleine Auswahl:


Daffy Duck in Yankee Doodle Daffy (1943)


Bugs Bunny in What's Cookin' Doc? (1944)

und hier die Dame selbst in Slick Hare (1947)

Im Tom & Jerry Cartoon Baby Puss wird ihr Song
Mamãe eu quero zitiert (einfach Kult).

Olivia Oil bezirzt Popeye in
We're on our way to Rio (1944)

Miss Piggy trällert 1977 Mirandas Cuanto Le Gusta,
orig. aus A Date with Judy (1948)

Teil 3: Disneys Konter

Dass Disney sich so intensiv an der Good Will Kampagne beteiligte, lag auf der Hand, war der Konzern vom Wegfall des europäischen Markt besonders stark betroffen. Walt dürfte dabei aber gewusst haben, dass auch seine Firma dem Rising Star Miranda nicht wirklich etwas entgegen zu setzen hatte. Und anfangs versuchte er dies auch gar nicht. So geriet Saludos Amigos 1942 noch zum braven, mit Cartooneinlagen aufgeblähten, fast-abendfüllenden Reiserundflug ganz nach den Forderungen Roosevelts. Als dieser Film jedoch in Südamerika positivere Kritiken erhielt als die Konkurrenzprodukte der Fox, muss Disney schließlich doch der Ehrgeiz gepackt haben. Wenn man die fest unter Vertrag stehende Frau schon nicht selbst vor die Kamera kriegt, dann aber alles tun, um ein Miranda-orientiertes Publikum für sich abzugreifen ... und damit zurück zum Anfang dieses Artikels.

Disney ließ in seinem Nachfolger The Three Caballeros (1944) nichts unversucht, um auf den Zug der Fox aufzuspringen. Der größte Fischzug war ohne Frage die Anwerbung von Carmens jüngerer Schwester Aurora Miranda. Das nette Fräulein hatte bereits in den 30er Jahren Erfahrungen im Showbiz sammeln können. Unter anderem trat sie zusammen mit Carmen auf der Bühne und auch in deren ersten erfolgreichen Filmen auf. In Brasilien bereits als Star gefeiert, verschwand sie in den USA jedoch zunächst hinter den Exkursionen ihrer großen Schwester.

Ich habe zwar keine exakten Zahlen anzubieten, aber wenn ich lese, dass von den $3,35 Millionen der ersten Gesamteinnahmen des Films alleine $700.000 aus Mexiko kamen - im Vergleich kamen in den USA und Kanada insgesamt "nur" 1,6 Millionen zusammen, da bleibt noch über 1 Million übrig - wage ich zu behaupten, dass The Three Caballeros in Südamerika ein Bombenerfolg gewesen sein muss. Man könnte Disney jetzt böswillig nachsagen, dass er mit dem Einsatz von Aurora Miranda und Carmen Molina eine recht freche Kontra-Kampagne startete, die ein halbwissendes Publikum abgreifen sollte, vielleicht. Auch dem Einsatz einer hübschen 29jährigen, die Disney nur zu gerne werbewirksam einsetzte, könnte man gewisse Vermutungen unterjubeln. Es darf ruhig erwähnt werden, dass Carmen Miranda 1944 bereits 35 Jahre .. jung ... war. In dem Alter ging für viele weibliche Hollywoodgrößen die Karriere steil nach unten; Carmens dagegen in die entgegen gesetzte Richtung. Was jedoch nicht von der Hand zu weisen ist, dürfte die Art sein, wie Disney nicht alleine Aurora, sondern den ganzen Film inszenierte. Wohlwissend, dass Carmen mehr oder minder bloß eine Verballhornung südamerikanischer Kultur verkörperte, setzte das Produktionsteam sämtliche musikalischen Nummern äußerst traditionell um. Speziell Auroras Darstellung einer Baiania, aber auch Molinas authentische Tanzeinlagen griffen genau dort, wo die Kritiker bei Carmen die Nasen rümpften. Den Rest erledigte dann die Musik selbst, die, wie ich bereits zuvor schrieb, ebenfalls klassisch-traditionell und ohne Kitsch daherkam. Hier beging Disney eine grandiose Gradwanderung. Zum einen erfuhren viele Songs ein Up-Beat Tempo, um Zeit und damit auch Zeichentrick-Arbeit zu sparen, zum anderen wollte man die Nummern aber auch nicht zum "Speed-Trash" ausufern lassen, was primär Carmen Mirandas Markenzeichen gewesen war.

Rollen wir daher einmal die Timeline der Songs herunter, die durch Miranda und Disney gleichermaßen zu Welthits aufstiegen und beginnen gleich mit dem größten davon: Aquarela do Brasil oder später einfach nur Brazil, geschrieben 1939 von Ary Barroso als traditioneller Karnevals-Song. Dieser wurde sozusagen durch beide Parteien parallel propagiert. In der Premieresendung der oben erwähnten Radioshow Hello Americans gab Miranda zum einen ein Ständchen mit dem Song No Tabuleiro da Baiana, zu dem Orson Welles selbst in Portugiesisch mitsang. Höhepunkt der Ausstrahlung war dann Brazil, der einen Sturm von Rückrufen an die Radiostation auslöste und die Show selbst zum Renner werden ließ. Das war am 15. November 1942. Kurz zuvor, so steht es in Disneys Onlinepräsenz wörtlich: "erteilte 20th Century Fox Carmen die Erlaubnis, bei Disneys Saludos Amigos-Segment "Aquarela do Brasil“ als Beraterin zu fungieren.". Nun, das ist eine höfliche Umschreibung, die frei übersetzt lauten müsste: "erteilte Fox Disney eine Abfuhr, Carmen selbst in dem Film auftreten zu lassen."! Die Wahrheit ist, dass Carmens musikalische Crew das Studio unterstützte, aber dazu gleich mehr. Saludos Amigos feierte zwar in Rio de Janeiro am 23. August '42 seine Weltpremiere, in den USA lief der Film jedoch erst im Februar '43 an. Damit war die Tutti-Frutti-Dame dem Märchenonkel eine Bananenlänge voraus. Immerhin durfte Donald mit einer Silhouette Mirandas im Copacabana-Club ein flottes Tänzchen hinlegen.

Doch es war nicht nur die Fox, welche Disney Steine in den Weg legte. Barroso selbst hatte, wenn auch nicht vertraglich, eine gewisse Abmachung mit Carmen Miranda, als Premierestar seine Werke bekannt zu machen. Doch das Verhältnis begann bereits vor '42 zu kippen. Schon 1939 kam es zu Streitigkeiten zwischen Barroso und dem Regisseur Wallace Downey, der gerade mit Miranda am Film Banana-da-Terra arbeitete (damals noch für MGM Brasil). Für Barrosos im Vorjahr geschriebenen Hit Na Baixa do Sapateiro, später verkürzt Baía, erhielt Downey keine Verwendungs-Erlaubnis. Stattdessen wurde das Lied durch O Que É que a Baiana Tem? von Dorival Caymmi ersetzt. Nach und nach ging das Verhältnis von Komponist und Sängerin in die Brüche. Die Forderungen Barrosos waren irgendwann unhaltbar geworden, so dass Miranda zwangsläufig auf andere Komponisten wie eben Caymmi ausweichen musste. Glück im Unglück: Im Ersatzsong von '39, frei übersetzt "Was hat eine Baiania anzubieten?" schuf Miranda mit ihrem damals höchst kuriosen, wenn nicht sogar anstößigen Outfit das Fundament ihres späteren Images. Die ganzen Querelen hielten sie auch nicht davon ab, Brazil später noch im Film The Gang's all here (1943) zum Besten zu geben. Es war schließlich IHR Hit ... und die Fox hatte da bestimmt auch noch ein Wörtchen mit zu reden. Barroso erhielt für den Song schließlich 1944 eine Oscar-Nominierung. Ob's ihm pressiert hat, ist nicht überliefert.
Info am Rande:
Wallace Downey führte 1938 in der latino-portugiesischen Fassung von Disneys Schneewittchen die Dialogregie!


von links nach rechts: Miranda '39 in Banana-da-Terra, Donald und der Carmen-Cameo in Saludos Amigos 1942, die Brazil-Sequenz 1943

Der nächste Hit ist Tico-Tico no Fubá, ein textloser Standard aus dem Jahr 1917. Disney griff sich diesen Song als Einleitung seiner Brasilien-Sequenz in Saludos Amigos, weil er, wie schon gesagt, einfach die richtige Nase für gut funktionierende Musik hatte. Was er damit los trat, konnte er allerdings kaum ahnen. 1943, nur ein Jahr später, erklang das Instrumental im MGM-Streifen Thousands Cheer (Nacht der tausend Sterne) erneut; für die Musik erhielt der Film eine Oscar-Nominierung. 1944 wurde Tico-Tico dann von Ethel Smith in Bathing Beauty (Badende Venus; der Klassiker mit Esther Williams) auf der Hammond-Orgel vorgetragen. Ihr rasanter Stil ließ den ursprünglich eher gemächlichen Song zur Stakkato-Nummer reifen. Ihre Darbietung soll damals einen wahren Kaufrausch an Instrumenten Marke Hammond verursacht haben, und so langsam pfiffen den Song auch US-amerikanische Spatzen von den Dächern. Was nun noch fehlte, war ein Text. Daran hatten sich zwar schon einige Songschreiber versucht, keine dieser Versionen konnte sich jedoch durchsetzen ... bis Aloísio de Oliveira die richtigen Worte fand - natürlich für Carmen Miranda. Nach der '45er Plattenaufnahme trug sie Tico-Tico auch in der Komödie Copacabana (1947) vor und fügte ihrer nicht enden wollenden Hitserie ein weiteres Schmankerl hinzu. Ihre Version geriet zum bis heute gültigen Standard. 2:0 für Carmen.


Tico-Tico: Donald und José tanzen, Ethel Smith haut zwischen einem Dutzend Schönheiten in die Tasten, Carmen verzückt das Publikum

Als die Produktion zu den drei Caballeros anstand, bekam es Disney irgendwie hin, von Barroso die Erlaubnis zu bekommen, dessen Stücke zu verwenden. Eine Frage des Geldes? Ich weiß nicht. Heutzutage würde ein Komponist froh sein, wenn man (Zitat Loriot:) "seinen Quatsch über'n Bildschirm verbreiten dürfte", aber wir reden hier halt von anderen Zeiten. Eine direkte Zusammenarbeit in Hollywood lehnte der Komponist dementsprechend ab ... scheint nicht gerade ein umgänglicher Mann gewesen zu sein. Walt schnappte sich natürlich Baía, bevor es sich Barroso mit Carmen doch noch wieder hätte überlegen wollen. Dazu kam Barrosos Nummer Os Quindins De Yayá, welche ganz nach der Erfolgsformel von Auroras Schwester inszeniert wurde. Richtig frech war jedoch der Einsatz von Na Baixa do Sapateiro (Have you been to Bahia?), stammte das Stück doch aus der Feder von Dorival Caymmi, der eigentlich Carmen regelmäßig beliefern sollte, sich jedoch nicht so sehr darum scherte, wer seine Lieder letzten Endes in die Hitlisten manövrierte. Dieser Song wurde so populär, dass 1945 alleine in den Vereinigten Staaten eine Million Exemplare der Noten gedruckt wurden. Von Barrosos beiden Werken fange ich gar nicht erst an. Disney hatte es geschafft, für eine kurze Zeit auf Carmens Erfolgswelle mit zu surfen.


Ein kleiner optischer Beweis dafür, dass Disney der Konkurrenz kräftig nacheiferte, zeigt sich in diesem netten Vergleich:
links Carmen Miranda in The Gang's all here (1943), rechts Carmen Molina in der Kaktus-Sequenz (1944).

So kommen wir zum nächsten Abschnitt dieses Artikels. Obwohl Walt Disney in vielen Dingen nicht unbedingt eine Koryphäe gewesen war, wurde ihm von seinen Mitarbeitern nachgesagt, dass er stets genau wusste, wie etwas richtig auszusehen und zu klingen hat - und obwohl er in den 40er Jahren bereits eine respektable Riege erfahrener Musiker und Komponisten unter Vertrag hatte, schien ihm das nicht genug, die lateinamerikanischen Beiträge authentisch umzusetzen. Was ihm fehlte, war die Erfolgs-Essenz, die Carmen Miranda stets mit im Gepäck hatte und ohne die das Hausorchester der 20th Century Fox Carmens Einlagen wohl nur zu einem platten Hollywood-Gefiedel umgemünzt hätte. Die Rede ist von Mirandas Begleitband.

Teil 4: Bando da Lua - Die Bande des Mondes

Nur unter großen Anstrengungen und harten Auflagen erhielt Disney die Erlaubnis, das Sextett an seinen Filmen mitwirken zu lassen. Wie J.B. Kaufman in seinem Buch South of the Border with Disney (2009) anmerkte, vertrat die Fox eine besitzergreifende Haltung gegenüber Bando da Lua und betrachtete sie als Teil des Pakets in seiner vertraglichen Vereinbarung mit Carmen Miranda. Folglich war das Disney-Studio gezwungen, sie von der Fox zu "leihen", mit der ausdrücklichen Bedingung, dass der Name der Band in den Credits und auf Plakaten nicht erwähnt werden durfte. Wer waren diese Jungs?

Gegründet um 1930/31 in Rio de Janeiro, wurde das Sextett durch einen damals neuen, mehrstimmig-harmonischen Gesang rasend schnell bekannt. Zu den ersten Mitgliedern gehörten Hélio Jordão Pereira, Oswaldo de Moraes Éboli, Ivo Astolphi sowie die Brüdern Afonso, Stênio und Armando Osório. Diese Angaben sind unter Vorbehalt zu betrachten. Diverse Quellen geben unterschiedliche Angaben darüber an, wer seit der Namensgebung dabei war, da sich die Gruppe aus einem nicht genau definierbarem Konvolut verschiedener Musiker extrahierte. 

Nach anfänglichen, lokalen Hits tourten sie 1934 zum ersten Mal durch den Kontinent, primär Argentinien, hier bereits gemeinsam mit Carmen Miranda ... und wurden frenetisch gefeiert. Überhaupt waren sie die ersten Brasilianer, die im Ausland Erfolg hatten. Nach dieser Tournee stieg Armando Osório aus und wurde Banker (wie langweilig). Ab 1935 waren die Jungs stets Hitgaranten des Karnevals von Rio; zu der Zeit folgten sie Carmen ins Filmgeschäft, wo die Dame bereits seit 1930 Fuß gefasst hatte. Ihr Debüt gaben sie in Allo Allo Brasil (siehe obiges Bild), eine musikalische Pseudo-Doku, in der alles auftrat, was damals in Brasilien Rang und Namen hatte. Spätestens hier verschmolzen Band und Sängerin zu einer nicht mehr trennbaren Einheit. Den Vertrag mit Fox unterzeichnete Carmen, die zu der Zeit gar kein Englisch lesen konnte, nur unter der Bedingung, dass Bando da Lua sie nicht nur bei den Musikaufnahmen begleitete, sondern auch in den Filmen stets mit im Bild zu sein hatte.


von links nach rechts:
José do Patrocínio Oliveira, Osvaldo de Almeida Gogliano, Nestor Amaral, Carmen, Afonso Osório, Stênio Osório und Aloísio de Oliveira

 
"OK, Carmen hatte halt ihre Begleitband, die ihr den individuellen Sound lieferte." mögen jetzt einige gelangweilt sagen. Nun, ich würde nicht so detailliert darüber schreiben, wenn das Alles nichts mit Disney zu tun hätte. Dem ein oder anderen aufmerksamen Besucher meiner Seiten ist hier vielleicht schon ein Name aufgefallen: Aloísio de Oliveira. Ich konnte leider nicht heraus finden, ob eine verwandtschaftliche Beziehung zwischen ihm und José
Oliveira bestand, was ich stark vermute ... und das ist der Punkt. Über diese Gruppe sind bedauerlicherweise sehr viele Lücken und noch mehr Falschaussagen im Umlauf, was mich dazu veranlasst hat, mal etwas in der Vergangenheit zu graben, um die ganze, korrekte Story zusammen zu tragen. Quasi als Rosetta-Stein diente mir anfangs das obige Gruppenbild, da es das einzige im Netz ist, welches zumindest DIESES Line-Up namentlich aufdröselt und auch auf der offiziellen Disney-Seite zu finden ist. Es entstand während der Dreharbeiten zu Springtime in the Rockies im Jahr 1942. Links eine Filmszene daraus, wo Carmen und ihre Jungs Glenn Millers Chattanooga Choo Choo zum Besten geben.

Das Problem dabei ist, dass es so etwas wie ein festes Line-Up damals gar nicht gab, eher einen harten Kern, dem sich immer wieder Gastmusiker oder auch begleitende Solisten anschlossen. Schon vorher hatte es bereits mehrere Umbesetzungen gegeben, was mich bis dahin jedoch nicht primär interessiert, weil es erst ab 1942 für diese Seite relevant wird. In manchen Filmen und auf Fotos mit und ohne Carmen kam ich schon mal auf 7 oder 8 Mitglieder, was meine Recherchen zu einem spannenden Who-is-Who Rätsel machte und diesen Artikel *hust* ein wenig ausufern ließ. Übrigens hatten damals viele der brasilianischen Musiker Spitznamen, da sie sich schämten, in der Öffentlichkeit als "Pop-Musiker" (v)erkannt zu werden. Auch das machte meine Suche nicht gerade einfacher. Aber wenn ich mal den Nowhere Man zitieren darf: Ad roc, ad voc, und quit pro quo - ich forsche viel, es macht mich froh!

 

(der Vollständigkeit halber:)

Diese LP von 1989 zeigt die Besetzung ca. 1935 nach ihrer ersten Südamerika-Tournee. Armando Osório wurde inzwischen durch Aloísio de Oliveira ersetzt.

Das Line-Up der ersten USA-Tour. Ivo Astolphi war hier bereits ausgestiegen. Links oben ist Aníbal Augusto Sardinha (Spitzname Garoto) zu sehen. Er begleitete die Band zu der Zeit und wird aufgrund dessen oft zu Unrecht als Bandmitglied missgedeutet.

Fangen wir also an, und zwar mit einem Herren, der auf den obigen Gruppenfotos NICHT zu sehen ist:

(1) Almirante (Henrique Foréis Domingues, 1908 - 1980)

Der Sänger, Komponist und Radiomoderator begann seine Karriere in der Gruppe Bando de Tangarás, welche die Formation einer "Bande" überhaupt erst populär machte und den späteren brasilianischen Star Noel Rosa hervor brachte. Almirante war Schöpfer mehrerer erfolgreicher Radioprogramme und Karnevalsongs wie Na Pavuna, einer erfolgreichen Samba aus dem Jahr 1929. In diesem Jahr freundete er sich mit Carmen Miranda an. Auf ihren Wunsch hin begleitete er sie während ihrer ersten Live-Auftritte und wurde so zum Vertrauten und Mentor. Auch ihm wird ihm nachgesagt, dass er temporär ein "Mond-Junge" war, aber das dürfte darauf beruhen, dass seine und Carmens Karriere sich immer wieder kreuzten. So hatte auch Almirante Auftritte in Carmens ersten Filmen und war bei vielen ihrer Plattenaufnahmen anwesend. Almirante kam schon früh mit Disney in Kontakt und sprach/sang für die portugiesischen Fassungen einiger Filme Rollen ein, wie z.B. den Chefzwerg & den Zauberspiegel (Schneewittchen '38) oder den Ehrlichen John (Pinocchio '40) ein. Auch Weggefährten von ihm waren hier und da mit involviert gewesen, ohne hier jetzt ins Detail zu gehen.

Auf der Saludos-Rundreise durch Südamerika geriet Walt Disney persönlich an den Mann und bat ihn um ein paar musikalischen Ideen. Heraus kam 1942 ein folkloristischer Song mit Namen Araquan, den Almirante für Disney einsang. Mit erhöhter Geschwindigkeit wurde daraus das Lied des gleichnamigen, durchgedrehten Vogels, der Disney-Fans bestens bekannt sein dürfte. Goofy-Stimme Pinto Colvig erledigte dazu das restliche Gegluckse und Geheule. Almirante bekam daraufhin das Angebot, auch den Papagei José Carioca zu synchronisieren, was er jedoch ablehnte.

Durch die Fox nicht vertraglich verpflichtet, weil eben kein festes Band-Mitglied, durfte er natürlich auf den Plakaten zum Caballeros-Film erwähnt werden. Im Caballeros-Film ist Almirante als Gitarrist zu sehen, der von Aurora eine Abfuhr erhält und sich anschließend mit einer "Bande" reizender Damen im Schlepptau rächt. Da soll er laut einiger Quellen jedoch schon lange nicht mehr als Musiker aktiv gewesen sein. Als einer der bestbezahltesten Künstler seiner Zeit frönte er hier bereits seiner Leidenschaft für Musikgeschichte. 39 Jahre lang sammelte er Dokumente und Schallplatten. Schließlich musste er ein eigenes Haus kaufen, um auf 100 Quadratmetern 2.500 Bände, 100.000 Notenblätter, 400 Theaterlibretti und 2.000 seltene Alben aufzubewahren, die sich heute im Besitz des Museu de Imagem e Som in Rio de Janeiro befinden.

(2) Afonso (1913 - ??) und Stênio Osório (1909 - 1993)

Zusammen mit ihrem bereits ausgestiegenen Bruder Armando waren die Osórios allesamt Multiinstrumentalisten. Neben diversen Rhythmus-Geräten war z.B. Stênio auch auf der Cavaquinho geübt, einem kleinen 4-saitigen Vorläufer der Mandoline. Außer ein paar discographischen Daten war leider nicht mehr über sie heraus zu finden. Beide waren aber die beständigsten Mitglieder und blieben der Band rund 20 Jahre lang treu. 


Afonso Osório neben Aurora an der Cabasa, rechts mit Pandeiro (eine Form des Tamburin) zu Mirandas Give Me A Band And Bandana in Greenwich Village (1944).


Hier Stênio Osórios Disney-Cameo und rechts im schwarz-weiß gedrehten Film Doll Face (1945) bei Carmens Song Chico Chico (from Puerto Rico).

(3) Vadico (Oswaldo de Almeida Gogliano) (1910 - 1962)

Vadico ging in den Filmen Mirandas, wenn er denn überhaupt zu sehen war, stets etwas unter. Das hatte jedoch seinen Grund, denn sein eigentliches Instrument war das Piano, welches in den Tanzszenen wohl fehl am Platz gewesen wäre. Man kann ihn oben links neben Stênio im Chico Chico-Schnappschuss sehen. In Wahrheit war er jedoch das Rückrat der Band, hatte bereits ein Musikstudium abgeschlossen, schrieb eigene Songs, dirigierte und arrangierte alles um Carmen herum. Er stieß um 1940 während der Dreharbeiten an That Night in Rio zu den Mond-Jungs und ließ sie wieder zum Sextett anwachsen. Vadico war es dann auch, der die musikalischen Nummern von Saludos Amigos und The Three Caballeros professionell überwachte und arrangierte. Später machte er sich durch die jahrzehntelange Zusammenarbeit mit dem bereits erwähnten Noel Rosa einen Namen.


In seinen Filmauftritten trug Vadico meist nie seine Brille, was es mir erschwerte, ihn zuzuordnen. In der Caballeros-Szene hatte ich ihn anfangs für Aloísio de Oliveira gehalten, was jedoch nicht sein kann, wie ich später heraus fand. Rechts noch mal eine Szene aus Doll Face, wo er in der Mitte zu sehen ist. Den gut gebauten Herren rechts von ihm könnt ihr schon mal im Hinterkopf behalten.

(4) Vadeco (Oswaldo de Moraes Eboli) (1912 - 2022)

Auf vielen Internetseiten wird unter "meinem Rosetta-Bild" nicht der Name Vadico, sondern Vadeco genannt. Zunächst glaubte ich an einen Schreib- oder Übersetzungsfehler, fand dann aber heraus, dass es den Mann wirklich gab. Es war der Spitzname eines der oben aufgeführten Gründungsmitglieder der Bando da Lua. Er blieb sowohl der Band als auch Carmen und Aurora auf Bühne und Film, obwohl längst schon kein offizielles Mitglied mehr, eng verbunden, kümmerte sich um die Public Relations der Truppe und war mehr oder weniger Manager und engster Vertrauter seines weiblichen Stars. In den Anfängen von Carmens US-Karriere ist er noch auf Bildern (und wohl auch in Filmen) zu sehen, verschwand dann aber im Hintergrund. Vadecos eigentliches Betätigungsfeld war das eines Delegierten der staatlichen Abteilung für Presse und Propaganda und damit, so interpretiere ich das, der Mittelsmann dieser ganzen Good-Will-Geschichte. Diese PR-Verbindung wird auf vielen Internetseiten aufgrund der Namensgleichheit fälschlicherweise Vadico zugeschrieben, was meine anfängliche Recherche unheimlich erschwerte. 1954, kurz vor Carmens Tod, wechselte Vadeco gänzlich in die Politik und wurde in das Ministerium für Arbeit, Industrie und Handel berufen. Vadeco war bis 2022 das letzte überlebende Mitglied der Mond-Bande und stand später, als das Interesse an alter brasilianischer Musik wieder entfachte, vielen Journalisten Rede und Antwort.

(4) Hélio Jordão Pereira (1914 - 1999)

Gitarrist Hélio war das letzte Gründungsmitglied, das ausschied, kurz bevor die Arbeit mit Disney richtig in die Gänge kam. Über ihn schweigt sich das Internet weitestgehend aus, weshalb ich auch keinen Grund für den Ausstieg heraus bekam. Die IMDB führt ihn in seiner Filmografie bis 1940, wogegen ich ihn zumindest noch im Film Week-End in Havana (1941, Bild oben) dingfest machen konnte. Hier hatte sich das Line-Up inzwischen auf 8 Mitglieder erhöht.

(5) Ivan Lopes (?? - ??)

Der Name dieses Mannes war mit am schwierigsten heraus zu finden, taucht er doch namentlich in keinem offiziellen Artikel über die Mond-Bande auf. Wie und wann Ivan zur Band stieß, ist zwar ungewiss, aber der Weggang Hélios deckt sich ziemlich genau mit Ivans Erscheinen. Das ist alles recht merkwürdig, trat Ivan doch in sehr vielen Carmen Miranda-Filmen auf, meist mit Percussion-Instrumenten, jedoch auch mit Trompete. Den entscheidenden Hinweis lieferte mir eine erschöpfend ausführliche Seite über die Discografie von Peggy Lee. In den Angaben zu einer Aufnahme-Session von 1947 wird er als Mitglied der Bando da Lua klar aufgelistet. Das war acht Jahre vor Peggys Mitarbeit an Susi & Strolch ... nur mal so nebenbei. Mit dem Namen in der Hand konnte ich nun heraus finden, dass Lopez bereits 1935 in Allo, Allo, Brasil! mitwirkte und damit zweifelsfrei zur "festen Szene" gehörte.


von links: Lopes geht vor Entzücken der Hut hoch (The Three Caballeros), in der Brazil-Sequenz aus The Gang's all here (1943), Foto der Peggy Lee Session 1947

(6) Nestor Amaral (1913 - 1962)

In seinem Heimatland als Vollblutmusiker betitelt, ist sein Wirken in der brasilianischen Musikszene in kurzen Worten kaum darzustellen. Die großen Erfolge abseits von Carmen Miranda erfolgten jedoch erst nach ihrem Tod. So interpretierte er 1957 den Song Amapola, den 10 Jahre später die schwedische Band The Spotniks zu einem Surfrock-Hit ummodelte. Das dazugehörige Album Holiday in Brazil als Nestor Amaral And His Continentals gilt heute als Klassiker. Amaral war, wenn man es so nennen kann, der Leadsänger der Mond-Bande, nicht der einzige mit Gesangstalent, aber wohl der Herausragendste. Primär sang er deshalb auch für den Caballeros-Film die portugiesische Version des Songs Baía ein. Es ist erstaunlich, dass in brasilianischen Quellen stets zu lesen ist, Amaral habe Baía in englisch eingesungen, was in Wahrheit Ray Gilbert tat. Die portugiesische Amaral-Version wird dagegen in den meisten internationalen Tonspuren verwendet. Auf Disney+ ist Ray Gilbert nur in der englischen und chinesischen Tonspur zu hören. Auf japanisch wird der Song instrumental angeboten und in türkisch wurde eine eigene Version erstellt ... aber ich schweife ab.

Natürlich hatte Amaral auch neben Aurora Miranda einen Auftritt; er durfte als zweiter Mann die Dame hingebungsvoll besingen. Wie es dazu kam, dass im Gegensatz zu seinen Kollegen Nestor Amaral als festes Bandmitglied in den Credits erwähnt werden durfte, entzieht sich meiner Kenntnis, aber ich vermute mal stark, dass lediglich der Gruppenname selbst tabu gewesen war.   


Links mit Aurora als Obstverkäufer, schwer damit beschäftigt, gleichzeitig zu singen und die Balance zu halten. Daneben in der Brazil- und Tutti-Frutti-Sequenz von The Gang's all here ('43).

(7) Zézinho (José do Patrocínio Oliveira) (1904 - 1987)

José Oliveira übertraf nicht alleine die Instrumentalität der Osório-Brüder, er war in vielerlei Hinsicht ein Tausendsassa. Vom Banjo bis zur Ukulele; an so ziemlich jedem Zupfinstrument wie auch der Geige geübt, entwickelte und baute er sogar eine Kreuzung aus Gitarre und Mandoline für sein Spiel. Als er zur Bando da Lua stieß, hatte er bereit mehr Musikerfahrung auf dem Buckel als alle anderen zusammen; selbst Europa bereiste er unlängst mit einer anderen Band. Trotzdem führte er parallel einen "seriösen" Job als Bibliotheksassistent aus, solange bis es ihn und seine Mannen 1939 in die USA verschlug, und das auch nur, weil ein Bandmitglied erkrankte und ausfiel. José und Vadico blieben zunächst in den Staaten, als die Tournee wieder vorbei war, während die anderen die Rückreise antraten. Zu diversen Projekten, die José bestritt, gehörte unter anderem, dass er 1941 im Film Road to Zanzibar (Der Weg nach Sansibar, aus der oben erwähnten Road-Serie) tatsächlich an der Gitarre zu hören war/ist, während Bob Hope dort nur so tut als ob ... was in den Credits natürlich nicht erwähnt wurde, wir erinnern uns. Zu dieser Zeit muss es zum direkten Kontakt mit Disney gekommen sein, wobei ich vermute, dass die Intention von Vadico (oder Vadeco?) ausging. Es ist schwer, hier einen klaren Faden auszumachen. Tatsache ist, dass José der erste war, der in seiner Landessprache einen Disney-Charakter synchronisierte: den Drachen aus The Reluctant Dragon (1941). Das passt zumindest perfekt mit Vadicos Einbindung in das Saludos Amigos Projekt zusammen, bei dem José ebenfalls mit von der Partie war. Er war Mit-Entwickler sowie Namensgeber des Papageien José Carioca und lieh diesem über viele Jahre auch seine Stimme. Der Mann war dem Plappermaul derart verbunden, dass er seinen alten Spitznamen Zézinho ablegte und sich nun selbst José (kurz Zé) Carioca nannte, im Disney-Club auftrat und seinen gefiederten Freund auch auf der Bühne gab, so wie Clarence Nash es jahrelang mit Donald Duck tat. Er wird in den Credits zum Saludos- und Caballeros-Film namentlich erwähnt.

Es gibt allerdings auch eine andere Version der Geschichte, in der Kollege Aloísio de Oliveira angibt, Ideenlieferant gewesen zu sein. Dies und der gleiche Nachnahme haben dazu geführt, dass in diversen Quellen die unterschiedlichsten (Falsch-)Aussagen in Umlauf gebracht wurden bis hin zur Unwahrheit, Aloísio selbst wäre die Stimme Cariocas gewesen. Bis jetzt, ich muss es zugeben, war auch ich diesem Irrtum erlegen. Der Biograf Jorge Carvalho de Mello, dessen Artikel über Zézinho hier übrigens als zweiter Rosetta-Stein fungierte, konnte diese und andere gegensätzliche Geschichten, zu denen ich noch komme, auch nicht immer 100%ig aufdröseln.


In The Three Caballeros spielt José eine hölzerne Maultrommel, d.h. er nutzt den Schlagstock seines Instruments (ich glaube ein quadratisches Guiro), um seinen Zähnen Töne zu entlocken.
ganz rechts mit Carmen in
The Gang's all here.

(8) Aloísio (auch Aloysio oder Louis) de Oliveira (1914 - 1995)

So, und nun endlich zu dem Mann, den ich hier schon zig mal erwähnt habe. Ihn habe ich mir bis zum Schluss aufgehoben, da seine Karriere anfangs die undurchsichtigste gewesen war und erst Licht hinein kam durch eine Art Ausschlussverfahren. Für den über ihm liegende Schleier war er jedoch teilweise selbst verantwortlich. Von der Aussage, er hätte die Mond-Bande selbst ins Leben gerufen über eine angebliche Liaison mit Carmen Miranda bis zur oben erwähnten Märchenstory scheint Aloísio de Oliveira offensichtlich viel erzählt zu haben, wenn der Abend lang war. Ich war nun nicht gewillt, jedem Tratsch hinterher zu graben und beschränke mich daher auf die wesentlichen Punkte.


Naa, hatten die beiden was miteinander?

Als Mitbegründer der Bando da Lua war er primär der Texter der Band. So schrieb er, wie bereits erwähnt, den bis heute gültigen Text zu Tico-Tico als auch für Barrosos Brazil. Interessant wird es ab der Produktion zu Saludos Amigos. Da die Angaben des oben erwähnten de Mello mit vielen anderen Artikeln oft nicht zusammen passen, musste ich mir vieles zunächst zusammen reimen. Nach Auflistung aller gesammelter Fakten und Indizien ergab sich folgendes Gesamtbild: 

Aloísio sang als Ersatzmann für Carmen die Brazil-Nummer in Saludos Amigos ein, obwohl nirgendwo erwähnt wird, dass er zusammen mit José und Vadico in den Staaten blieb (de Mello). Ich persönlich würde diesen Gesangspart ohne weiteres auch Nestor Amaral zusprechen (und ich habe da durchaus genau hingehört), aber Aloísio wird im Vorspann zum Film klar als Sänger und auf vielen Seiten als zweite Solostimme der Band erwähnt (also Fakt). Wenn jedoch selbst Disney herum spinnt, Carmen Miranda hätte in Saludos als "Berater" fungiert / fungieren sollen, so bleibt zumindest die Option, dass vielleicht die gesamte Bando da Lua schon bei Saludos Amigos anwesend gewesen war. Die Frage nach meiner kleinen Verschwörungstheorie muss daher leider offen bleiben. Vor Ort war Carmen jedenfalls, wie diese Aufnahmen beweisen:


Und dass Sie mir ja auf meine kleine Schwester aufpassen!                                         Aber Selbst-Ver-Ständ-Lich!

Kurz nach dem Saludos-Projekt verließ Aloísio die Bando da Lua, um bei Disney zu bleiben (de Mello). Er wurde Musikalischer Leiter, natürlich Songtexter sowie Off-Sprecher einiger portugiesischer Disney-Fassungen und sprach noch bis 1978 jede Menge Charaktere in seiner Landessprache ein (Fakt), darunter Captain Hook, Strolch, Balu und den Hahn Alan A'Dale, um nur einige zu nennen. Ob er dieser Tätigkeit in den USA oder Brasilien nachging, kann ich nicht sagen. Von 1941 bis 1974 war er jedenfalls Kreativdirektor von Disney Character Voices International Inc. Hui, das wusste ich bis dato auch noch nicht, dass es den Verein damals schon gab. Nach Drehende zu den Caballeros 1944 verließ nun auch Vadico die Band (de Mello), wirkte noch rund 10 Jahre in den USA und ging danach zurück nach Brasilien, wo er seine erfolgreiche Solokarriere startete. 1947 endete Carmens Vertrag mit der Fox, was allmählich zu einem Zerbröseln der Band führte. Carmen trat in Copacabana (United Artists) u.a. neben Groucho Marx auf und wechselte anschließend zur MGM. Als nächstes verabschiedeten sich Nestor Amaral und José Carioca, traten in einer neu zusammen gestellten Band, genannt die Carioca Boys in Paramounts Road to Rio (1947) auf, 1948 unter neuem Namen Samba Kings in der RKO-Produktion A Song is Born (Die tollkühne Rettung der Gangsterbraut Honey Swanson, mit Danny Kaye). Ebenfalls 1948 sah man José Oliviera und Nestor Amaral als namenloses Duo neben Doris Day in Romance on the High Seas (Zaubernächte in Rio, Warner Bros. 1948).

In dieser Zeit kam es selbstredend bei der Bando da Lua zu diversen Umbesetzungen, die etwas zu komplex und eigentlich auch zu uninteressant sind, um sie hier darzustellen. Aloísio de Oliveira, inzwischen wieder dabei (wie und warum auch immer) und als letztes Ur-Mitglied nun offizieller Chef der Band, wollte diese unbedingt am Leben erhalten. Immerhin galt es weiterhin, Carmens Karriere zu unterstützen. So stellte er 1948 mit Mitgliedern der sich gerade in den USA aufhaltende Gruppe Anjos do Inferno ein komplett neues Line-Up zusammen. Die Band bestand nun aus:

  
v.l.: Harry Vasco de Almeida, Aluísio Antunes Ferreira (Lulu), José Ferreira Soares (Russinho), Carmen, Aloísio und Antônio Cardoso Martins (Russo do Pandeiro)
(Schnappschuss aus Nancy goes to Rio, 1950)

Aloísio konnte seine neuen Weggefährten sogar kurz bei Disney unterbringen. Sie unterstützten ihn bei der Synchronisation zu Cinderella, in dem sie einige Mäuserollen einsprachen und -sangen. Er selbst lieh der Maus Jacques seine portugiesische Stimme. Im Gegenzug durften die Jungs aus dem Cinderella-Song Bibbidi-Bobbidi-Boo eine schmissige Samba-Fassung basteln, die ich Euch nicht vorenthalten möchte. Klickt dazu auf das Decca-Label rechts oben.

Es sei noch gesagt, dass Disney bis zuletzt versuchte, Carmen zu sich zu holen, um sie zumindest im Melody Time Segment Blame it on the Samba (1948) auftreten zu lassen. Doch auch dieser Plan schlug fehl; statt dessen wurden Ethel Smith und die Dinning Sisters eingesetzt. Ein letztes Karriere-Highlight der Mond-Bande abseits von Carmen ergab sich durch eine kurze Zusammenarbeit mit Bing Crosby 1952. Das endgültige Aus kam dann 1955 mit dem plötzlichen Tod Carmens. Aloísio wechselte die Fronten als Musikproduzent und war jahrelang eine große Nummer beim Label Odeon, bis er in Brasilien sein eigenes Label Elenco gründete. Nach dessen Auflösung 1968 sprang er zwischen diversen Plattenlabeln in den USA und Brasilien hin und her, bis er sich zur Ruhe setzte und über seine Jahre mit Bando da Lua ein Buch schrieb, wahrscheinlich DIE Quelle, in der er Fakten und Fantasien miteinender vermischte. Er starb 1995 an Lungenkrebs. Heute gilt Aloísio als wichtiger Wegbereiter des Bossa Novas und deren Künstler, allen voran Antônio Carlos Jobim und João Gilberto, die eine neue Ära brasilianischer Musik einleiteten. The Girl from Ipanema wurde zum Welthit und Gilbertos Frau Astrud sozusagen die neue "Carmen Miranda" - ohne Glanz, ohne Pomp, ohne Bananen, ganz natürlich, ganz im Sinne der Sechziger Jahre.


Der Reco-Reco Spieler im Caballeros-Film blieb leider bis zuletzt unidentifiziert.
Ich hab da zwar gewisse Vermutungen, aber
nee, jetzt ist gut ... ich sehe wahrscheinlich schon Gespenster!


Was jetzt noch fehlt, ist eine nette Schlussanekdote. Dafür wühle ich mal kurz in meiner Plattenkiste ... Augenblick bitte ... ah, da haben wir's ja!

Im Jahre 1966 landete Chico Buarque auf dem Música Popular Brasileira (MPB) Festival einen Überraschungs-Hit mit seinem Song A Banda, einem Abgesang auf all die alten Gesangsformationen, die aufgrund des Bossa Novas nun langsam in Vergessenheit geraten sollten. Kurioserweise lieferte ausgerechnet Bossa Nova Papst Antônio Carlos Jobim kurz darauf den englischen Text dazu und machte das Lied in den USA bekannt. Über den großen Teich schwappte es dann 1967 an Italiens Küste, wo Mina (Oldie Fans kennen ihren Schlager Heißer Sand) ihm einen italienischen Text unterjubelte. Die kecke Französin France Gall wiederum transferierte das Lied ins Deutsche und besang nun eine imaginäre Karnevalsprinzessin namens Rosita mit zwei Apfelsinen im Haar und an den Hüften Bananen. So brachte Fräulein Gall Deutschland 1968 in eine kurz anhaltende Samba-Laune, einem Land, das aufgrund eines Weltkrieges von einer Carmen Miranda absolut nichts mit bekommen hatte. Diese war in 21 Filmen zu sehen, 14 davon wurden in Hollywood produziert. Ganze 4 kamen historisch bedingt zwischen 1949 und 1950 in die deutschen Kinos, KEINER hat es je auf irgend eine Art von Kaufmedium geschafft. Ihre musikalischen Filmbeiträge kann man heute nahezu komplett auf YouTube bewundern. Macht das ruhig mal, ihr werdet es nicht bereuen!

Wer die Samba nicht liebt, ist kein guter Mensch, er ist entweder faul im Kopf oder krank in den Füßen.
(Dorival Caymmi)

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